Mit «Alpinarium_3» luden die Compagnie 29/09 und Theater Konstellationen Besucher im Rahmen der Schlossmediale ein, eine Nacht in einem kuscheligen Bett im Dachstock des Schlosses zu verbringen und schlafend und wachend in eine Reise durch Lebensgeschichten und Klänge der Alpen einzutauchen.
WERDENBERG. Vom See her kommend ist es ein kurzer Aufstieg über die mondbeschienene Treppe zum Schloss. Sterne funkeln am nächtlichen, samtblauen Himmel. Im Schlosshof sitzen Menschen und plaudern. Kurz vor 23 Uhr werden die Gäste vom Alpinarium-Personal höflich eingeladen, sich im obersten Raum des Schlosses ein kuscheliges, weiches Bett auszusuchen und sich darin gemütlich einzurichten. Während sich die einen zum Schlafen umziehen und ihren Schlafsack ausbreiten, legen sich andere in Strassenkleidern aufs Bett. Es herrschen eine wundersame Atmosphäre und fast andächtige Stille. Die Betreuer umsorgen die Gäste, verwöhnen sie mit einem vorgewärmten Kirschenstein-Säckchen, bringen einen heissen Tee oder einen Schnaps ans Bett und wünschen eine gute Nacht.
Aus versteckten Lautsprechern ertönen Sägegeräusche, Tierlaute, ein Alphorn, Geflüster. Dazwischen ein leises Schnarchen. Irgendwo im Raum hustet jemand. In Decken gehüllt vernimmt man aus den im grossen, weissen Kissen eingebetteten Lautsprechern Wortfetzen, Satzfragmente: «Hier ist es schön.» Horchen, schlafen, träumen. Zwischen Schlafen und Wachen beginnt man eine Reise und taucht in Lebensgeschichten aus den Alpen ein, vernimmt Geschichten von Frauen, die die Berge verlassen haben, andere, die geblieben sind. «Warum ich geblieben bin? Ich weiss es nicht.» Es entstehen Bilder im Kopf der Zuhörer, als die Geschichte der Vierzehnjährigen erzählt wird, die als Haushalthilfe ins fremde Tal geschickt wurde. Aus Heimweh und Verzweiflung warf sie das ihr anvertraute Kleinkind der Arbeitgeber in den Fluss, in der Hoffnung, sie dürfe dann endlich wieder nach Hause. Das Bild der jungen Frau, die ein Bündel auf dem Arm trägt und schnellen Schrittes zur Rheinbrücke eilt, entsteht vor dem inneren Auge. Eindrücklich auch die Geschichte des jungen Mädchens, das sich weigerte, einen Bauern zu heiraten. Sie floh nach Florenz, wo sie drei Jahre blieb. Traum, Fiktion, Wirklichkeit? Irgendwann gewinnt der Schlaf die Oberhand.
Kurz vor drei ein einsamer Spaziergang durch das spärlich erleuchtete Schloss. Das Holztor knarrt leise, Schatten an den Wänden, die Mauern erzählen ihre eigenen Geschichten. Trotzdem wirkt das Schloss nicht beängstigend oder abweisend. Ein eigenartiges Gefühl der Dazugehörigkeit und Vertrautheit breitet sich aus. Wie sich Frieda Hilty wohl gefühlt haben mag, wenn sie jeweils die Sommermonate im Schloss verbrachte? Zeit, sich die Bilder der Ahnengalerie zur nächtlichen Stunde in aller Ruhe anzusehen. Die porträtierten Menschen schauen der Besucherin direkt in die Augen. Im kuscheligen Bett, das Kirschenstein-Säckchen ist erkaltet, fallen die Augen sofort zu.
Von fern ertönt ein Donnergrollen. Aufwachen oder weiterschlafen? Ein krachender Donner genau über dem Schloss schreckt die Schläferin auf. Regen prasselt aufs Dach. Das heftige Gewitter entfernt sich, kehrt nochmals zurück, entfernt sich wieder. Dann hört man nur noch den Regen, der auch bald verstummt. Traum, Fiktion, Wirklichkeit? Der Wetterbericht hat nichts von einem Gewitter gesagt, der Abendhimmel war wolkenlos. Zweifel kommen auf. War das Gewitter auch eine Audioinstallation? Vom Schlaf übermannt werden diese Gedanken nicht zu Ende gedacht. Eine wohlklingende Stimme weckt die Schlafenden sanft auf: «Guten Morgen. Es ist sechs Uhr dreissig, Ihr Frühstück steht bereit.»