Der Werbeflyer für das Naturstimmen-Festival der Klangwelt Toggenburg hat bei seinem Erscheinen im Frühjahr viel Wirbel gemacht. Der Drei-Kulturen-Mann hat das Traditionsverständnis vieler verletzt.
Michael Hug
Er hat für einigen Wirbel gesorgt, der Mann mit Bastrock, Pelzmütze und rotem Brusttuch. Klangwelt-Präsident Mathias Müller wurde auf dem linken Fuss erwischt, als der Shitstorm hereinbrach: «Ich befand mich gerade auf einem Kinderspielplatz als das Telefon läutete. Dann riefen Medien aus der halben Schweiz an und statt mich um meine Kindern kümmern zu können, musste ich Stellung zu diesem Flyer nehmen.» Nadja Räss, die zurückgetretene Intendantin der Klangwelt: «Ich war gerade in Finnland auf einer Konzerttournee, als mich die Nachricht erreichte. Das Thema hat dann zu einer Diskussion unter den anwesenden Künstlern geführt, die fast die ganze Nacht gedauert hat. Nachher konnte ich nicht mehr schlafen.» Nicht mehr schlafen konnten auch einige Toggenburger Jodlerinnen und Jodler. Annelies Huser, Jodlerin beim Churfirstenchörli: «Das hat mich richtig aufgerieben, ich dachte mir: Wie kann das sein!»
Die Kritik, die im Anschluss an die Veröffentlichung des Bilds des Mehr-Kulturen-Mannes auf digitalen und analogen Kanälen auf die Geschäftsleitung der Klangwelt prasselte, war massiv. Gefühle seien verletzt, so das Hauptargument, traditionalistische Werte verhunzt worden. Und das bei der Klangwelt Toggenburg, die sich ja für die Kultur und deren Traditionen im Obertoggenburg einsetze. «Wir meinten es nicht in böser Absicht», sagte Nadja Räss. Der Aspekt, dass die bildliche Trachten-Montage Gefühle verletzten könnte, sei ihr und ihrem Team ganz einfach nicht bewusst gewesen.
Man wollte Aufmerksamkeit für das Naturstimmen-Festival vom nächsten Frühling und keine Provokation. Ob dieser Werbeprospekt (Flyer) nun zurückgezogen oder die elektronische Werbung geändert werde, wollte Nadja Räss nicht bestätigen: «Wir wollten zuerst diesen Diskussionsabend abwarten.»
Die Gelegenheit, Kritik – oder allfälliges Lob – im direkten persönlichen und öffentlichen Austausch an der Klangwelt-Führung anzubringen, nahmen am Dienstagabend dennoch nicht viele Betroffene wahr. Knapp zwanzig Personen waren in der Probstei erschienen und äusserten sich zum Thema. Man kann sich fragen, ob das Werk der Werbeabteilung des Festivals doch nicht so viele Toggenburgerinnen und Toggenburger betroffen gemacht hat. Oder ob die Einladung der Klangwelt zum Diskussionsabend etwas zu knapp ausgefallen war. Im Newsletter und auf der Homepage wurde das Thema der Diskussion nicht erwähnt. Weniger Bedarfte aus der Region haben damit nicht von der Möglichkeit zum Meinungsaustausch in dieser Sache erfahren. Andere, die wohl wussten, worum es gehen würde, sind nicht erschienen, so zum Beispiel die Mehrheit der Mitglieder der Traditionschöre des Obertoggenburgs.
Vorgängig der Diskussion referierte Johannes Schmid, der Geschäftsführer der Schweizerischen Trachtenvereinigung, über die Trachtenkultur der Schweiz in den vergangenen 200 Jahren.
Johannes Schmid meinte, dass die Trachtenkultur Höhen und Tiefen erlebt habe. Dass Trachten aus diversen Regionen einen Aufschwung erlebten, andere aber verschwanden. Er zeigte mit Bildern, dass Trachten immer wieder mal «verhunzt» würden, es sich dabei aber nicht um nachhaltige Entwicklungen handle. Schmid: «Reglemente, wie eine Tracht auszusehen hat, gibt es nicht und soll es auch nicht geben. Aber es gibt Richtlinien, was zu einer Tracht einer bestimmten Region gehört und was nicht.»
Schmid meinte, dass auch Trachtenträgerinnen und -träger selbst sich nicht immer an die Richtlinien, ob sie aufgeschrieben seien oder mündlich tradiert, halten: «Die einen nehmen es strenger, andere sehen es lockerer. Manchmal führen auch praktische Gründe zur Veränderung des Trachtenbildes. Zum Beispiel hat das Aufkommen der Autos den Hut bei den Männern fast vollkommen verdrängt, weil es einfach unpraktisch ist, mit Hut Auto zu fahren.»