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Wenn Messies auffliegen: Die Vermieter bleiben oft auf einem Totalschaden sitzen

Messies – Leben im Chaos (3): Viele Messies leben in ständiger Angst vor Nachbarn, Vermietern und Behörden. Doch diese dürfen nur in bestimmten Fällen wegen Messietums einschreiten.

Daniel Walt
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Alles zugestellt: Blick in eine Messie-Wohnung in der Ostschweiz. (Bild: Ralph Ribi)

Alles zugestellt: Blick in eine Messie-Wohnung in der Ostschweiz. (Bild: Ralph Ribi)

Der Mann ist über 80-jährig, verwitwet. Er weist erste Anzeichen von Demenz auf und lebt in einer Wohnung im sechsten Stock im Kanton St.Gallen. Die Treppen kommt er fast nicht mehr hoch. Irgendwann schlagen besorgte Nachbarn Alarm: Sie setzen bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eine Gefährdungsmeldung ab.

Als Behördenvertreter den Senior besuchen, finden sie ihn in einem vermüllten Haushalt vor. Der Mann weist zudem Anzeichen einer Mangelernährung auf – wie sich erst jetzt zeigt, hat er wochenlang nur Schokolade gegessen, weil er nicht mehr in der Lage war, Einkäufe zu tätigen.

In der Wohnung haben sich auch sonst viele Dinge angesammelt. Ob der Mann sich bewusst nicht von ihnen trennen wollte oder ob er einfach nicht mehr in der Lage war, sie zu entsorgen, bleibt offen.

Oft während langer Zeit unauffällig

Winfried Giesel ist Abteilungsleiter in der Berufsbeistandschaft bei den Sozialen Diensten der Stadt St.Gallen. Er sagt:

«Messietum alleine, also das Sammeln und Horten von Gegenständen, ist kaum je ein Grund, um von Seiten der Kesb einzugreifen.»

Erst, wenn sich die entsprechende Person im Alltag nicht mehr zurechtfindet, auffällig wird und kein familiäres Auffangnetz besteht, kommen die Behörden ins Spiel – Stichworte sind beispielsweise Demenz, Verwahrlosung, Mangelernährung oder das Vermüllen der Wohnung.

Häufig sei es aber so, dass Messies sehr kontrolliert seien und die Fassade wahrten. Giesel sagt: «Gegen aussen bleiben sie oftmals während langer Zeit unauffällig.»

Folgen des Messietums im Zentrum

«Bloss weil jemand übermässig Dinge hortet, ist das noch kein Grund für uns, einzuschreiten», sagt auch Nadine Suhner, Leiterin des Arboner Sozialamtes. Es gelte die Selbstgefährdung der entsprechenden Person abzuschätzen – beispielsweise in Zusammenhang mit Vermüllung oder fehlender Körperhygiene.

Kommt es zu einer amtlichen Intervention beziehungsweise einer Beistandschaft, sind die Amtsvertreter vor allem helfend und koordinierend tätig. Beispielsweise unterstützen sie die Messies bei Räumungsarbeiten – oder helfen im schlimmsten Fall bei der Auflösung des Haushalts und der Suche nach einer neuen Unterkunft. So wurde für den über 80-jährigen Rentner ein Platz in einem Altersheim organisiert, da er nicht mehr alleine für sich sorgen konnte.

Zusammenfassend sagt Winfried Giesel: «Für uns steht nicht das Messietum im Fokus, sondern die Folgen daraus.» Dass es dabei auch immer wieder zu Konflikten mit den Messies kommt, versteht sich von selbst:

«Wenn es darum geht, dass sie von liebgewonnenen Dingen Abschied nehmen sollten, ist es ein Kampf – sie klammern sich an jeden Gegenstand».

Von einem generellen Anstieg von Messie-Fällen mag Giesel nicht sprechen, zumal keine entsprechende Statistik erhoben wird. «Allgemein sind die Beistandschaften in den letzten Jahren aber stark angestiegen. Von daher ist davon auszugehen, dass darunter auch mehr Fälle sind, in denen Messietum eine gewisse Rolle spielt.»

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Immer wieder Kündigungen

Nicht nur Gemeinden, auch Liegenschaftsbesitzer sind mit dem Thema Messies konfrontiert. «Es gab in letzter Zeit relativ häufig Fälle, die mit einer Kündigung geendet haben», sagt Cyrill Zumbühl vom Rechtsdienst des Hauseigentümerverbandes des Kantons St.Gallen. Hausbesitzer hätten oftmals keine Ahnung, dass Mieter unter dem Messie-Syndrom litten.

«Beim Einzug von Messies fällt jeweils höchstens auf, dass sie etwas mehr Dinge mitbringen als andere. Und irgendwann artet es dann aus.»

Oftmals sind es deshalb erst Reparatur- oder Sanierungsarbeiten, die Messies auffliegen lassen.

Einschreiten ist gar nicht so einfach

Ernst Bischofberger, Präsident des kantonalen Hauseigentümerverbandes Appenzell Ausserrhoden, betont:

«Es ist grundsätzlich das Recht jedes Mieters, so zu hausen, wie er möchte. Nur weil jemand ein Puff und viele Dinge in seinen vier Wänden hat, ist das noch kein Grund einzuschreiten.»

Eine rechtliche Handhabe hat der Vermieter laut Zumbühl und Bischofberger nur in bestimmten Fällen: dann, wenn der Messie keine Miete mehr zahlt, wenn sich Nachbarn über Geruchs- beziehungsweise andere Immissionen beschweren oder wenn der Messie gegen die Sorgfaltspflicht verstösst. «Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn er nicht mehr lüften oder staubsaugen kann, weil alles zugestellt ist», sagt Zumbühl. In solchen Fällen könne sich der Vermieter darauf berufen, dass der rechtlich vorgeschriebene kleine Unterhalt der Wohnung nicht mehr gewährleistet werden könne.

Ernst Bischofberger gibt allerdings zu bedenken, dass dies gar nicht so einfach sei: «Vermieter dürfen nur im Notfall in eine Wohnung. Es ist schwierig, jemandem nachzuweisen, dass er den kleinen Unterhalt vernachlässigt, wenn man gar nicht in die Wohnung gelassen wird.»

Abmahnung, dann Kündigung

Welche Mittel stehen Vermietern zur Verfügung, wenn sie einen Messie für die Wohnung beziehungsweise für die Nachbarn als nicht mehr tragbar erachten? Ein erster Schritt besteht in einer Abmahnung. Falls sich die Zustände nicht bessern, kann das Mietverhältnis gekündigt werden.

Auf den Kosten für Schäden an Messie-Wohnungen und allfällig erfolgte Zwangsräumungen bleiben dann allerdings häufig die Vermieter sitzen, denn oft lebten Messies von der Sozialhilfe, von der IV oder verfügten sonst nicht über viele Mittel, wie Cyrill Zumbühl vom St.Galler Hauseigentümerverband sagt. Er stellt deshalb fest:

«Wenn keine Mietkaution verlangt worden ist, sind das jeweils Totalschäden.»

Serie: Messies – Leben im Chaos

Sie können sich nur schwer von etwas trennen, horten Tausende Dinge, leben in komplett überfüllten Wohnungen, oftmals isoliert von der Aussenwelt: Messies – der Begriff stammt vom englischen Wort «mess» (Unordnung) – gibt es auch in der Ostschweiz. Wie wird man zum Messie? Gibt es Chancen auf Heilung, wenn man am Messie-Syndrom leidet? Und wie gehen Hausbesitzer und Nachbarn damit um, wenn ein Messie in einer Liegenschaft lebt? In einer Serie gehen wir diesen und weiteren Fragen rund ums Thema Messies nach.

Lesen Sie die übrigen Beiträge unserer Messie-Serie nach: