Der Kanton St.Gallen will die Medikamententest an den Psychiatrien untersuchen. Noch gibt es viele offen Fragen.
Psychiatrische Kliniken waren bis in die 1980er Jahre ein Tummelfeld für die Pharmaindustrie und innovationsfreudige Nervenärzte. In Zusammenarbeit mit den Herstellern testeten Ärzte nicht zugelassene Medikamente an Patienten, teils mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen. Dass dies auch an den Psychiatrien im Kanton St.Gallen der Fall war, ist seit knapp zwei Jahren bekannt. Im Januar 2018 wurde publik, dass ein Chefarzt in Wil in den 1970er Jahren Medikamente gegen Schizophrenie an Patienten getestet hat.
Der Kantonsrat hat das Thema im Februar 2018 aufgegriffen. SP-Parlamentarier Peter Hartmann verlangte von der Regierung Antworten zu den Vorkommnissen in den Psychiatrischen Kliniken des Kantons. Hartmann wollte unter anderem wissen, ob die Regierung eine Aufarbeitung für nötig hält. Die Regierung liess in der Folge durchblicken, dass sie sich davon nicht allzu viel verspricht. «Es ist aus aktueller Sicht noch nicht klar, ob eine Aufarbeitung andere oder neue Erkenntnisse als in den bereits durchgeführten Projekten in der Schweizer Psychiatrie mit sich bringt», hielt sie fest.
Inzwischen hat sich der Kantonsrat zu den Medikamententests geäussert. Über das Budget bewilligt er in der Novembersession 75000 Franken für Vorabklärungen zu den Medikamententests. Diese Summe gilt auch als Auftrag an die Regierung, in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Der Antrag ist politisch breit abgestützt, sämtliche vier Fraktionen haben ihn unterschrieben, im Parlament wurde er mit 83 zu 13 Stimmen angenommen.
Das Gesundheitsdepartement arbeitet mittlerweile an einem Projektauftrag. Ein Projektleiter wurde bereits bestimmt, wie es beim Departement auf Anfrage heisst. Projektauftrag und Leitung müssen noch von der Regierung abgesegnet werden. Wann das passiert, ist unklar. Offen sind auch diverse andere Fragen. Auch wenn der politische Wille zur Klärung der damaligen Vorkommnisse vorhanden ist: Ein Konsens über Umfang und Tiefe der Untersuchung existiert weder im Kantonsrat noch in den betroffenen Institutionen. Wie teuer es werden kann, zeigte sich im Thurgau. Der Kanton gab über eine Million Franken aus, um Klarheit über die Medikamententests des Psychiaters Roland Kuhn an der Psychiatrie Münsterlingen zu schaffen. Unter Kuhn wurden in Münsterlingen über Jahrzehnte mehrere Dutzend Wirkstoffe an mindestens 3000 Personen getestet. Die Untersuchung, die im September der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, geht von 36 Todesopfern im Zusammenhang mit den Tests aus.
Die Nachforschungen zu den Medikamententests in den St.Galler Psychiatrien dürften sich ebenfalls aufwendig gestalten. Bis heute ist unklar, wo sich die Studienakten und Patientendossiers aus jener Zeit befinden. Einer der Protagonisten der damaligen Zeit, der Wiler Chefarzt Walter Pöldinger, starb 2002. Er arbeitete zuletzt an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. Unklar ist, ob er einen die fraglichen Akten aus Wil an seinen späteren Arbeitsort und nach seiner Pensionierung in sein Privatarchiv mitgenommen hat. Und auch wenn diese Akten gefunden werden, ist nicht sicher, dass sich dort Hinweise zu den Tests finden. Allein diese Nachforschungen könnten mehr als 75000 Franken kosten – ohne allfällige Zahlungen an Geschädigte.