Gewerkschaften handeln mit der Post-Tochter Presto einen neuen Gesamtarbeitsvertrag aus. Zeitungsverträger in der Ostschweiz können hoffen, dass ihr gekürzter Lohn mindestens wieder leicht ansteigt. Das hören sie an einem Podium.
ST. GALLEN. Die Gewerkschaft Syndicom lud ins Kugl in St. Gallen, wo Gewerkschaften für den Streik von 2009 (siehe Kasten) ihre Zentrale hatten. Auf dem Podium diskutierten der Leiter der Syndicom-Abteilung Logistik und die Präsidentin der Betriebskommission in St. Gallen mit dem Chef der Presto. Teilnehmer waren gut 20 Verträgerinnen und Verträger. Sie nutzten intensiv die Gelegenheit, Anliegen vorzutragen.
Die Zeitungsverträger sind begehrt: bei der Post, die sich mit ihnen ein neues Geschäftsfeld erschloss, und bei der Gewerkschaft, die Potenzial für neue Mitglieder sieht. Das nützt den vielen Frauen und Männern, die frühmorgens bei jedem Wetter Zeitungen in die Briefkästen verteilen, bisher wenig. In der Ostschweiz wurde vor vier Jahren ihr Lohn gekürzt, bevor die Post mit ihrem Tochterunternehmen Presto Presse-Vertriebs AG die Zeitungszustellung am Morgen übernahm. Die Gewerkschaft konnte daran bis jetzt nichts ändern. Die Presto zahlt 16.80 Franken pro Stunde plus Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie nach Dienstalter. Das ist einer der tiefsten Löhne in der Schweiz.
Entsprechend ist der Lohn ein zentrales Thema der Verhandlungen für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Presto-Geschäftsführer Daniel Hügi dämpfte aber Erwartungen. Die Presto – mit 10 000 Verträgern die Marktführerin – erziele keinen Gewinn, liege im laufenden Jahr sogar gut eine Million Franken im Minus. Weil die Zeitungsverlage mit sinkenden Abonnentenzahlen und Inserateeinnahmen kämpften, sei nicht viel mehr Ertrag zu erzielen und könne entsprechend wenig verteilt werden. Trotzdem sei Presto «zu einem Schritt bereit», antwortete er Podiumsleiter Dumeni Casaulta von Radio FM1.
Auch Fritz Gurtner aus Bern, der für die Gewerkschaft Syndicom verhandelt, rechnet angesichts dieser Lage nicht mit grossen Sprüngen. Er dämpft vor allem Hoffnungen auf weitere Verbesserungen nebst einer Lohnerhöhung. Verträgerinnen und Verträger nannten aber mehrere weitere Anliegen: Kürzung wegen sinkender Abonnentenzahl nach verteilten Zeitungen statt pauschal, Beitrag an Regenkleidung, höhere Autoentschädigung (bisher 65 Rappen je Kilometer), Anerkennung guter Leistung und besonders bessere Regelung von Sonntagsarbeit und Lohnersatz bei Krankheit. Wenn sie weniger als vier Tage krank sind, erhalten sie nichts. Wer nur sonntags arbeitet, hat so fast einen Monat lang keinen Lohn. Hier ist Besserung ins Sicht – zum Preis, dass der Lohnersatz kürzer als bisher 720 Tage bezahlt wird. Deutlich kritisierten Verträger die «Ostschweiz am Sonntag»: Die angenommene Abonnentenzahl und damit der in Aussicht gestellte Lohn werde nicht erreicht. Verträger legten auch dar, dass etliche von ihnen – wie alleinerziehende Mütter oder Studenten – trotz des schlechten Lohns nicht wechseln können, weil sie an Arbeit in Randzeiten gebunden sind.
Eine Mutter beklagte, sie und ihre Söhne könnten mit Zeitungsvertragen das Studium kaum mehr finanzieren. Das wertet Gewerkschafter Gurtner als gesellschaftliches Problem: Wegen Tieflöhnen, Kürzung von Stipendien und Erhöhung von Studiengebühren könnten nicht mehr alle Eltern den Kindern eine höhere Bildung ermöglichen. Damit breche ein Pfeiler von Gesellschaft und Wirtschaft der Schweiz ein.