Startseite
Ostschweiz
Nach dem Neonazi-Konzert in Unterwasser im Herbst 2016 verlangte das St.Galler Kantonsparlament ein gesetzliches Verbot extremistischer Anlässe. Dass die Regelung jetzt plötzlich zu scheitern droht, ist unverständlich. Bei einem Nein wäre die Rechtslage unsicherer denn je.
Die Kehrtwende kommt unerwartet. Nach dem Neonazi-Konzert in Unterwasser vor drei Jahren sagte das St.Galler Kantonsparlament klipp und klar: Ein gesetzliches Verbot extremistischer Anlässe muss her. Der Rat stimmte einer entsprechenden Motion der CVP zu, mit 80 zu 2 Stimmen bei neun Enthaltungen. Jetzt kommt der Gesetzesartikel ins Parlament – und ist plötzlich dermassen umstritten, dass er zu scheitern droht (Ausgabe vom Dienstag). Was ist passiert?
In den Monaten nach dem Rechtsrockkonzert im Toggenburg riefen zwei Veranstaltungen der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) die St. Galler Polizei auf den Plan. Der erste Anlass fand noch statt, samt Gegendemonstration von links. Den zweiten, ein angekündigtes Rechtsrockkonzert, verbot die Kantonspolizei auf Basis der polizeilichen Generalklausel. Die Klausel ermöglicht es dem Staat, Grundrechte (wie etwa die Versammlungsfreiheit) einzuschränken, wenn öffentliches Interesse oder der Schutz Dritter dies erforderlich machen. Die Pnos klagte gegen dieses Verbot. Das Verwaltungsgericht gab zwar der Polizei recht, doch die Politik war sich weitgehend einig, dass die Generalklausel juristisch doch eher eine wacklige Grundlage für solche Verbote sei. Ergo brauche es einen Gesetzesartikel, hiess es im Parlament.
Dass das Verbot jetzt dennoch wieder in Frage gestellt wird, hat vor allem praktische Gründe. Die Arbeit der Polizei werde mit dem Gesetzesartikel überhaupt nicht vereinfacht, sagt etwa die FDP. Nichts werde damit besser, die Probleme blieben dieselben. Klar: Wenn 5000 Neonazis ein Konzert veranstalten wollen, ist die Aufgabe der Polizei genau gleich schwierig, egal, auf welcher rechtlichen Basis der Anlass verboten wurde. Und bevor sie das Verbot anwenden, müssen die Behörden ohnehin abwägen zwischen Sicherheit einerseits und Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit andererseits.
Allerdings ist es heikel, daraus abzuleiten, die Generalklausel genüge weiterhin für Verbote und der neue Gesetzesartikel sei überflüssig. Denn diese Generalklausel in der Bundesverfassung hat einen grossen Haken: Sie ist für unvorhergesehene gefährliche Lagen gedacht, für die es keine gesetzliche Regelung gibt. Quasi ein Joker zur Überbrückung von Gesetzeslücken im Notfall. Das ist auch völlig richtig so – Grundrechte auszuhebeln, soll schliesslich nicht zur Gewohnheit werden. Das Bundesgericht hat mehrmals festgehalten, dass die Generalklausel nicht unbeschränkt angewendet werden darf. Die St.Galler Regierung weist zu Recht auf diese Urteile hin – sie sind öffentlich verfügbar. Wenn der Gesetzgeber für eine bestimmte Gefahr «trotz Kenntnis der Problematik» keine Regelung erlassen habe, dürfe die Generalklausel nicht angerufen werden, so das Gericht.
Anders gesagt: Wenn das St.Galler Kantonsparlament nächste Woche auf ein gesetzliches Verbot extremistischer Anlässe bewusst verzichtet, fällt auch die Generalklausel als Notnagel für solche Fälle aus. Die Polizei darf nicht durch die Hintertür ein Verbot aussprechen, das die Legislative zuvor ausdrücklich abgelehnt hat.
Ein Nein zum gesetzlichen Verbot führt somit direkt aufs Glatteis. Die rechtliche Grundlage für den Umgang mit solchen Anlässen würde noch unsicherer, als sie es vor drei Jahren war. Die Geschichte mit der Pnos zeigt: Schon vor der Debatte im Parlament war die Generalklausel angreifbar. Beharrt das Bundesgericht auf seiner Sichtweise, muss der Kanton St.Gallen damit rechnen, derartige Prozesse künftig zu verlieren. Das wäre mehr als peinlich – es wäre ein komplett falsches Signal an Leute extremistischer Gesinnung, welcher Art auch immer. Es ist nicht einzusehen, warum der Kanton dieses Risiko eingehen soll, nur um sich einen Gesetzesparagrafen zu ersparen. Auch in der Bevölkerung dürfte ein Rückzieher des Parlaments schlecht ankommen. Die Volksinitiative, welche die CVP bereits androht, hätte wohl gute Chancen. Noch besser als kantonale Verbote wäre freilich eine nationale Regelung. Aber stillzuhalten und auf den Bund zu warten, kann sich der Kanton St. Gallen jetzt nicht mehr leisten.