Das liechtensteinische Gewerbe sieht sich benachteiligt in der Schweiz. Politiker beklagen Nachteile bei der Grenzgängerbesteuerung. Nicht die Schweiz habe zuerst die Schrauben angezogen, kontert Nationalrat Walter Müller.
VADUZ. Nachsehen bei der erhofften Einführung der Quellenbesteuerung für Grenzgänger, Nachteile für das liechtensteinische Gewerbe bei der Erfüllung von Arbeitsaufträgen in der benachbarten Region, Unterschiede bei der Abrechnung ärztlicher Leistungen und Beschränkungen bei der freien Arztwahl: Viele Liechtensteiner fühlen sich von der Schweiz benachteiligt. Das Gewerbe forderte kürzlich bei einer Protestaktion vor dem Regierungsgebäude gleich lange Spiesse bei grenzüberschreitenden Arbeiten. Bei manchen kommt der Verdacht auf, die Schweiz stehe nicht mehr für die offene Grenze ein, wie das früher der Fall war.
Alles falsche Interpretationen, kontert der St. Galler FDP-Nationalrat Walter Müller in einem Interview mit dem Liechtensteiner «Volksblatt». Liechtenstein habe zuerst Anpassungen gemacht, die Schweiz habe nur darauf reagiert. In der Vergangenheit habe im Bereich der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Liechtenstein vieles einfach funktioniert, ohne dass man dies hinterfragt hätte. Doch dann seien auf der Liechtensteiner Seite verschiedene Punkte angestossen worden und die Schweiz habe bemerkt, dass es Klärungsbedarf gebe. «Man darf nicht vergessen: Sowohl beim Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) als auch beim Grenzärzteabkommen kam der Anstoss aus Liechtenstein», sagt Müller. Liechtenstein habe 2004 mit der Einführung einer Bedarfsplanung für Ärzte die Schrauben angezogen und dabei die Ärzte aus der schweizerischen Nachbarschaft nicht mit einbezogen. Mit diesem Vorgehen sei der diesbezügliche Staatsvertrag, der 1938/39 zwischen der Schweiz und Liechtenstein abgeschlossen wurde, ausgehebelt worden. Die Schweiz habe darauf reagiert, weil Schweizer Ärzte durch Liechtenstein benachteiligt wurden.
Ein ähnliches Vorgehen Liechtensteins kritisiert Müller, das zum neuen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) geführt habe, das eine Quellensteuer für Grenzgänger aus der Schweiz ausklammere. Liechtenstein habe «quasi in einer Nacht-und-Nebel-Aktion» eine Quellenbesteuerung auf AHV-Renten der Schweizer Grenzgänger eingeführt, wodurch deren Renten doppelt besteuert wurden. Kritik von Müller erntet auch der frühere Regierungschef Klaus Tschütscher, der schon den Ertrag aus der Quellenbesteuerung der Grenzgänger in das Budget aufgenommen habe, bevor die Verhandlungen richtig aufgenommen wurden. Aufgrund dieser zwei Vorkommnisse habe er eine Motion im Parlament eingereicht mit der Forderung, ein umfassendes Doppelbesteuerungsabkommen mit Liechtenstein auszuarbeiten. Die Ausklammerung der Quellensteuer für Grenzgänger, betont Müller, sei erst nachher eingebracht worden: «Erst im Ständerat wurde eingefügt, dass die Grenzgängerbesteuerung nicht verhandelbar sei.»
Zur Forderung des liechtensteinischen Gewerbes nach «gleich langen Spiessen» bei der Erbringung von Arbeitsleistungen in der Schweiz erklärte Müller, er hätte nichts dagegen, wenn diese Hürden in der Schweiz gesenkt würden. Ausgangspunkt aber seien die flankierenden Massnahmen, die eine gesetzliche Grundlage hätten und zwischen den EU- und Efta-Ländern gelten würden. Wenn es möglich sei, bei den grenzüberschreitenden Arbeitsaufträgen die heutige Administration auf ein Minimum herunterzufahren, werde er sich dafür einsetzen, sagte Müller. Er gab allerdings gleichzeitig zu verstehen, dass dafür wenig Hoffnung bestehe, weil die flankierenden Massnahmen eine wichtige Errungenschaft der Gewerkschaften zur Verhinderung von Lohndumping seien.
Quellenbesteuerung der Grenzgänger, ungleich hohe Hürden bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen, eigenständige Bedarfsplanung bei den Ärzten – aus dem Interview mit Müller wird deutlich, dass eigentlich genügend Konfliktstoff für Gespräche über die grundlegende Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern besteht. Hinzu kommen wird in nächster Zeit das Problem mit der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, sofern es Kontingente für die Zuwanderung aus der EU geben sollte: Betroffen wären dann EU-Grenzgänger, die bisher in der Schweiz ihren Wohnsitz nehmen konnten, obwohl sie ihren Arbeitsplatz in Liechtenstein haben.