LAUSANNE/ST.MARGRETHEN. Die islamischen Dachorganisationen der Schweiz begrüssen, dass das Bundesgericht das Tragen eines islamischen Kopftuchs im Schulunterricht erlaubt. Für die betroffene Schulgemeinde und die SVP ist das Kopftuch ein Integrationshindernis.
Das Bundesgericht gewichte die individuelle Religionsfreiheit höher, als das öffentliche Interesse an einer erfolgreichen Integration sowie das Grundrecht auf einen religionsneutralen Unterricht, schreibt Roger Trösch, Schulratspräsident von St.Margrethen, in einer Mitteilung am Freitag.
«Trotz des Entscheides aus Lausanne ist der Schulrat von St.Margrethen nach wie vor überzeugt, dass das Tragen des islamischen Kopftuches bereits im Kindesalter ein Symbol für eine fundamentalistischen Auslegung des Islams und damit ein Integrationshindernis darstellt», heisst es im Communiqué weiter.
Sowohl die Schulgemeinde wie das St.Galler Bildungsdepartement unter Führung von Regierungsrat Stefan Kölliker (SVP) begrüssen, dass es in dieser Frage nun Rechtssicherheit gebe. Nun könne die Regierung die drei politischen Vorstösse zur Verankerung von Bekleidungsvorschriften im Volksschulgesetz bearbeiten. Diese wurden wegen des bevorstehenden Bundesgerichtsentscheids ausgesetzt.
Der St.Galler Erziehungsrat hatte im August 2010 den St.Galler Schulen die Empfehlung abgegeben, Kopftücher und Schirmmützen im Unterricht zu verbieten, weil es Streitigkeiten in einzelnen Gemeinden gab. Die Schulgemeinden hielten es unterschiedlich mit dieser Empfehlung. Es kam zu weiteren Konflikten.
Muslime froh über Entscheid
Der Vater des muslimischen Mädchen äusserte sich ebenfalls zum Urteil: "Dieser Entscheid ist zweifellos ein grosser Schritt für die Schweiz wie auch für die praktizierenden Muslime". Es sei weiter ein grosser Schritt gegen kriminelle Organisationen wie den IS oder AlQaida. Diesen würde der Wind aus den Segeln genommen, denn sie würden die Muslime (Jugend) gegen das Volk hier aufhetzen.
Auch die Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) meldete sich zu Wort. Fids sei froh über den Entscheid des Bundesgerichts, wonach das Kopftuchverbot ein unrechtmässiger Eingriff in die Glaubens- und Religionsfreiheit ist. «Wer behauptet, das Tragen eines islamischen Kopftuches sei kein Menschenrecht und habe nichts mit der Religion zu tun, der irrt», sagte Önder Günes, Mediensprecher der Dachorganisation, welche sich für den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften bemüht.
Für den Islamischen Zentralrat (IZRS) ist es zwar begrüssenswert, dass sich das Bundesgericht erneut zu einem freiheitlichen Geist der Schweizer Rechtsordnung bekenne und den lokalen Behörden entgegen den ansteigenden islamophoben Tendenzen in der Gesellschaft die Richtung weise. Die Erinnerung an die Tatsache, dass Muslime das Recht, sich so zu kleiden, wie es ihrem Glauben entspreche, durch alle gerichtlichen Instanzen erkämpfen müssten, sei die traurige Kehrseite dieses Richterspruchs.
SVP St.Gallen empört
Die SVP des Kantons St.Gallen schrieb in einer Mitteilung: «Die SVP ist empört über dieses weltfremde Urteil, denn es bedeutet einen Rückschlag für die Integrationsbemühungen der Volksschule». Es sei eine Einladung an die islamistischen Kreise, weitere Forderungen zu stellen. Die SVP werde sich trotz des nicht nachvollziehbaren Urteils dafür einsetzen, dass die «Werte unserer Gesellschaft» nicht weiter von religiösen Fundamentalisten verhöhnt werden können.
Für Walter Wobmann, SVP-Nationalrat und Co-Präsident des Komitees für die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», ist das vom Bundesgericht ausgesandte Zeichen katastrophal. «Es zeigt, dass sich diese Leute gar nicht integrieren müssen und ein Spezialzüglein fahren dürfen», sagte er.
«Kopftuch weniger schlimm als Verhüllung»
Wobmann wies zudem darauf hin, dass es bei der Ende September vom Egerkinger-Komitee lancierten Initiative um die Verhüllung des Kopfes gehe und nicht um die Kopfbedeckung. «Für mich ist das ein klarer Unterschied. Das Kopftuch ist eindeutig weniger schlimm als die Verhüllung des Gesichts», sagte er. (sda)
Das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen wird durch die in der Bundesverfassung verankerte Glaubens- und Gewissensfreiheit geschützt. Die Gewährleistung der Religionsausübung umfasst nicht nur kultische Handlungen oder religiöse Gebräuche. Auch religiös motivierte Bekleidungsvorschriften sind vom Schutz des Artikel 15 der Bundesverfassung erfasst, wie das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten hat. Die Einschränkung eines solchen Grundrechts bedarf einer gesetzlichen Grundlage, und sie muss durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. Zudem muss eine allfällige Beschneidung des Rechts verhältnismässig sein.
Im Fall von zwei Mädchen in der Gemeinde Bürglen, die ebenfalls das islamische Kopftuch während des Unterrichts tragen, sah das Bundesgericht im Juli 2013 die Voraussetzungen für ein Verbot nicht als erfüllt an. (red.)