Ohne Motorengeräusche durch die Luft gleiten. Jeden ersten Sonntag im Monat lässt die Segelfluggrupppe Säntis Besucher am Erlebnis des lautlosen Fliegens teilhaben.
ALTENRHEIN. Von null auf hundert in vier Sekunden. Der Körper wird gegen den Sitz gepresst, die Hände auf die Lehnen. Plötzlich macht das Segelflugzeug einen Ruck – das Stahlseil der Winde hat sich 350 Meter über dem Boden gelöst. Der Segelflugnovizin auf dem Rücksitz entwischt ein «Hui». Wie auf Kommando stabilisiert sich das Flugzeug. Der Blick über das Rheindelta ist überwältigend. Die dunklen Wolken hängen tief, der See ist dunkelblau. Irgendwo dazwischen segelt der Flieger «Orion» lautlos dahin.
Von Frühling bis Herbst lädt die Segelfluggruppe Säntis jeden ersten Sonntag im Monat zum Schnupperfliegen ein. Für vierzig Franken können Interessierte fünf Minuten über dem Hangar in Altenrhein kreisen. Heute sei eigentlich kein guter Tag zum Fliegen, sagt Vereinspräsident Pius Stolz. Eine Regenfront sei im Anzug und die Sicht sei schlecht. Für den Windenstart sei das Wetter aber kein Hindernis.
Mit dem Jeep geht es raus aufs Flugfeld. Dort schnalle ich mir den Fallschirm auf den Rücken und steige hinter Kurt Sauter ins Flugzeug. «Sind Sie bereit, etwas dreckig zu werden?» fragt der Pilot. Ich will nicht zimperlich sein. Ohne recht zu wissen, was er meint, willige ich ein.
«Orion» ist eines der acht Flugzeuge der Segelfluggruppe Säntis. Es hat eine Flügelspannweite von 20 Metern und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 270 Kilometern pro Stunde. So schnell fliege man selten, sagt Pius Stolz. «Die normale Geschwindigkeit liegt zwischen 80 und 100 Stundenkilometern.» Die 40 Segelflieger des Vereins suchten nicht die Geschwindigkeit, sondern das Erlebnis, lautlos zu schweben.
Dieses Freiheitsgefühl ist für mich von kurzer Dauer. Nach wenigen Minuten in der Luft sagt der Pilot: «Jetzt gehen wir in denn Sturzflug.» Der Flieger dreht 45 Grad nach unten. Der Boden kommt immer näher. Da zieht Sauter den Steuerknüppel zurück. Und wieder werde ich in den Sitz gepresst. Die Hand zu heben ist unmöglich. «Und jetzt in die Schwerelosigkeit.» Haare, Steinchen, Brösmeli und andere lose Teilchen im Flugzeug fliegen zur Decke. Auch ich werde im Sitz angehoben. Nur ein paar Sekunden. Schon nimmt alles wieder seinen gewohnten Platz ein. Da wird mir klar, was der Pilot am Boden gemeint hat – der lose Dreck vom Flugzeugboden liegt jetzt in meinem Schoss.
Segelfliegen ist eine Herausforderung, denn die Thermik, der Motor der Segelflieger, ist eine knifflige Angelegenheit. Ein Pilot muss alle sieben Sekunden eine Entscheidung treffen. Er muss die Wetterlage immer wieder neu einschätzen, entscheiden, wie er den Thermikschlauch erreicht und was er tut, wenn der Auftrieb abreisst. «An einem guten Tag auf einer Föhnwelle zu reiten, ist das Schönste», sagt Pius Stolz. Erfahrene Piloten könnten bis sieben Stunden in der Luft bleiben.
Ich bin froh, dass es für mich nach fünf Minuten wieder Richtung Boden geht. Mein Magen weiss nicht mehr, wo oben und unten ist. Als das Rad die Piste berührt, holpert «Orion» etwas, dann bleibt er stehen. Ich öffne die Haube und kraxle mit unsicheren Beinen aus dem Flugzeug. Zum Glück habe ich wieder festen Boden unter den Füssen.
Katrin Meier