Corona, Flüchtlingssituation, Europapolitik: Die St.Galler FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter blickt im TVO-Talk auf die vergangenen Monate zurück – und verrät, wie sie Weihnachten feiert.
Bald drei Jahre ist Karin Keller-Sutter Bundesrätin – zwei davon waren stark durch die Pandemie geprägt. «Corona überschattet vieles», sagt die St.Galler FDP-Magistratin am Mittwochabend im TVO-Talk «Zur Sache». 60 Geschäfte hat sie als Justizministerin im Parlament zum Abschluss gebracht, neun Volksabstimmungen für den Bundesrat bestritten. Die Arbeit als Bundesrätin mache ihr immer noch viel Spass, sagt sie.
«Ich bin mit Leib und Seele in der Exekutive. Ich habe das Gefühl, im Bundesrat bin ich am richtigen Ort.»
Und als Bundesratsmitglied muss sie im Gespräch dann sogleich die jüngsten Coronamassnahmen rechtfertigen: 2G und die Beschränkung von privaten Treffen auf zehn Personen, falls Ungeimpfte dabei sind: «Ist das nicht ein Impfzwang durch die Hintertür?», fragt Moderator Dumeni Casaulta. Es gehe darum, die Ungeimpften zu schützen, entgegnet Keller-Sutter – und gleichzeitig die Intensivstationen und das Pflegepersonal nicht zu überlasten. Es brauche weiterhin auch Intensivplätze für dringende Fälle, die nichts mit Corona zu tun hätten: «Krebs, Hirnschlag, Wintersportverletzungen.»
Sie anerkenne, dass 2G für ungeimpfte Personen einschneidend sei, sagt Keller-Sutter. Doch jeder und jede habe die Wahl – zwischen Impfung und Verzicht. Keller-Sutter gibt deutlich zu verstehen, dass der Spielraum für «milde» Massnahmen ausgeschöpft sei, gerade auch angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante: «Wenn es nicht funktioniert, werden wieder punktuelle Schliessungen nötig sein. Das wollen wir natürlich nicht.» Jeder und jede sei jetzt gefordert.
Privat hat Keller-Sutter ihre Konsequenzen für die Festtage – dazu zählt ihr Geburtstag am heutigen 22. Dezember – gezogen: «Auch ich schränke mich ein, feiere in kleinem Rahmen.» Die Gäste seien alle geboostert, auch die Grundregeln wie Abstandhalten, Maskentragen, Händewaschen und Lüften würden weiterhin zum «Grundprogramm» gehören. Ein, zwei Anlässe habe sie geplant, sagt Keller-Sutter.
«Manche meiner Geschwister habe ich seit einem Jahr nicht mehr gesehen – wegen meiner Arbeitsbelastung als Bundesrätin, aber auch wegen Corona.»
Was sagt die Justizministerin dazu, dass im Kanton St.Gallen im grossen Stil Covid-Zertifikate gefälscht wurden?
«Das ist himmeltraurig. Damit wird auch die Sicherheit der Personen gefährdet, die dann ein solches gefälschtes Zertifikat verwenden und beispielsweise einen Anlass besuchen.»
Sie vertraue darauf, dass die Strafvollzugsbehörden den Fall sauber abklären würden, so Keller Sutter.
Auch die Asylsituation hat in den vergangenen Monaten zu reden gegeben: Viele afghanische Flüchtlinge reisten in die Schweiz ein – beispielsweise mit dem Zug von Österreich her. Der Kanton St.Gallen hofft auf ein vereinfachtes Rückübernahme-Abkommen mit Österreich. «Könnte man Österreich nicht stärker in die Pflicht nehmen?», fragt Moderator Dumeni Casaulta.
«Das ist weder das alleinige Problem von Österreich noch das alleinige Problem der Schweiz», sagt Keller-Sutter. «Es ist eine Belastungsprobe für den gesamten Schengen-Dublin-Raum.» Die Schweiz habe die Möglichkeit, die Personen über Dublin zurückzuführen, «es ist allerdings aufwendig». Auch werde das Rückübernahme-Abkommen mit Österreich momentan modernisiert, «auch das ist aufwendig». Gleichzeitig betont Keller-Sutter, dass die meisten dieser Menschen nicht in der Schweiz bleiben würden.
«Von den 3000 Afghanen, die in den vergangenen Monaten eingereist sind, wollten nur fünf Prozent ein Asylgesuch in der Schweiz stellen.»
Es handle sich um sogenannte Sekundärmigration, so die Justizministerin: «Das sind teilweise anerkannte Flüchtlinge, die etwa in Griechenland oder Österreich registriert sind. Sie suchen sich aus, wo sie das Asylgesuch stellen wollen – dort, wo sie die Bedingungen als optimal betrachten.»
Keller-Sutter wehrt sich gegen den Eindruck, die Schweiz unternehme angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan zu wenig. «Wir haben zusätzliche 33 Millionen Franken für Hilfe vor Ort gesprochen.» Die Schweiz habe ihr Kontingent zur Übernahme afghanischer Resettlement-Flüchtlinge für die kommenden zwei Jahre erhöht, von 1600 auf 1900 Personen. «Wir übernehmen die verletzlichsten Personen, oft Frauen, Kinder, teilweise auch Menschen mit Behinderung.»
Eine weitere politische Grossbaustelle ist das Verhältnis der Schweiz zur EU. Was macht nun der Bundesrat, nachdem er die Verhandlungen über das Rahmenabkommen beendet hat? «Wir haben nicht einfach nichts mehr», betont Keller-Sutter und verweist auf die 120 bilateralen Verträge. «Man muss sehen: Das Rahmenabkommen war nicht mehrheitsfähig.» Am Schluss sei es weder von den Bundesratsparteien noch von den Gewerkschaften und den Wirtschaftsverbänden mitgetragen worden.
«Jetzt sind wir daran, eine Strategie zu entwickeln, um wieder mit der EU ins Gespräch zu kommen und einen politischen Dialog zu führen.»
Keller-Sutters Departement durchleuchtet die Bilateralen I auf Regelungsunterschiede zur EU. «Es ist wichtig, dass wir nun innenpolitisch abklären: Wo wäre es möglich, Reibungsflächen abzubauen und Konflikte zu lösen, ohne dass wir in grosse Verhandlungen gehen?» Auf diesem Weg lasse sich auch der Druck auf die institutionellen Fragen, die zum Scheitern des Rahmenabkommens geführt haben, verringern.