Die Züge auf dem Schienennetz des Thur- und Neckertals sind kaum je verspätet, egal welche Gesellschaft sie betreibt. Sind sie es doch, ist manchmal eine absichtlich zu früh angesetzte Abfahrtszeit Schuld daran.
Es galt bisher fast wie ein Naturgesetz: Die Schweizer Züge fahren pünktlich. Doch daran rütteln jüngste Ereignisse und Auswertungen. Mehrere aufsehenerregende Verspätungsmeldungen drohen, den Ruf der Bahnbetreiber und damit insbesondere der SBB zu beschädigen. Die SBB beschwichtigen: 90 Prozent der Kunden kommen pünktlich – das heisst mit weniger als drei Minuten Verspätung – an ihrem Ziel an. Auf der Internet-Seite www.pünktlichkeit.ch wertet Informatiker Andreas Gutweniger öffentlich verfügbare Daten aus und kommt zu einem differenzierten Schluss: Auf einzelnen Strecken kommen mehr als die Hälfte aller Züge zu spät an.
Die auf der Plattform ersichtlichen Daten geben auch Einblick in die Pünktlichkeit der Züge im Thur- und Neckertal. Die Daten vermögen zwar nicht zu sagen, wie viele Zugreisende effektiv von Verspätungen betroffen sind, sie zeigen aber auf, auf welchen Streckenabschnitten die Gefahr verspäteter Züge am grössten ist. Beim Blick auf die Daten der letzten 365 Tage zeigt sich: Am ehesten länger auf den Zug warten Reisende, wenn sie von Brunnadern-Neckertal nach Mogelsberg reisen möchten. Hier kommen etwa drei von zehn Zügen zu spät an. Das gilt allerdings nur, wenn die Verbindung von Thurbo betrieben wird. Bei den SOB-Zügen ist nämlich die Gegenrichtung anfällig. Rund ein Viertel der Züge ist hier zu spät unterwegs.
Grundsätzlich scheinen die Schienen im Neckertal etwas störungsanfälliger zu sein. Die Verbindungen mit einer Pünktlichkeitsquote von unter 90 Prozent liegen allesamt in diesem Teil des Toggenburgs. Es sind dies neben den bereits erwähnten auch die Verbindungen von Brunnadern-Neckertal nach Lichtensteig (sowohl SOB als auch Thurbo), von Degersheim nach Mogelsberg (SOB) und von Mogelsberg nach Brunnadern-Neckertal (Thurbo).
Einen Einfluss darauf haben die einberechneten Reserven, wie Werner Fritschi, Mediensprecher von Thurbo, sagt. «In der Regel ist eine Reserve eher am Schluss der Strecke oder vor einem Knoten eingebaut.» Das führe dazu, dass man beispielsweise bei der Fahrt von St.Gallen nach Wattwil gefühlt immer zu spät sei, aber trotzdem rechtzeitig ankomme. Die Zahlen stützen seine These. Zwischen Lichtensteig und Wattwil weisen die Thurbo-Züge kaum Verspätung auf, obwohl sie im Neckertal oft verspätet unterwegs sind.
Ein weiterer Grund sei, dass im Neckertal bei diversen Bahnhöfen nur auf Verlangen angehalten wird. Die Abfahrtszeiten seien auf solchen Strecken tendenziell etwas früher angegeben. «Wenn wir beispielsweise an einem Sonntagmorgen an einigen Bahnhöfen nicht halten müssen, wären wir sonst eventuell zu früh unterwegs», erklärt Fritschi. Weitere Faktoren wie Einspur-Abschnitte und das Ausmass des Mischverkehrs (S-Bahn-, Fern- und Güterverkehr) spielten ebenfalls eine Rolle.
Auch Christopher Hug, Mediensprecher der SOB, erwähnt, dass die Abfahrtszeit an Bahnhöfen mit Halt auf Verlangen immer eine oder zwei Minuten zu früh angegeben sei, damit die Bahnreisenden den Zug sicher nicht verpassen würden. Deshalb tauchen Züge in der Statistik unterwegs als verspätet auf, die am nächsten Umsteigebahnhof wieder pünktlich unterwegs seien. Das könne zum Beispiel auf der Fahrt aus dem Neckertal nach Wattwil oder in die andere Richtung nach St.Gallen der Fall sein.
Bei allen noch nicht erwähnten Streckenabschnitten im Toggenburg – dazu zählt auch die S9 zwischen Wil und Wattwil – kommt nicht einmal jeder zehnte Zug zu spät am Ziel an. Spitzenreiter ist die Verbindung von Ebnat-Kappel nach Wattwil, die von Thurbo betrieben wird. Von 6180 erfassten Fahrten waren nur gerade 12 unpünktlich. Sowieso kann man im Obertoggenburg davon ausgehen, dass die Züge pünktlich verkehren. Selbst das schlechteste Resultat – von Wattwil nach Ebnat-Kappel waren 1,32 Prozent der Züge unpünktlich – ist noch ausgesprochen gut. Das liegt gemäss Fritschi daran, dass hier praktisch alle Vorzeichen positiv sind. Es gibt keinen Mischverkehr, die Wendezeiten sind grosszügig bemessen, die Fahrtzeit ist nicht zu eng berechnet und auch die Postautoanschlüsse sind nicht knapp kalkuliert. Fritschi resümiert:
«Es gibt praktisch keinen Grund, warum ein Zug ab Nesslau zu spät sein sollte.»
Keine Sorgen machen muss man sich auch bei Fahrten mit dem Voralpenexpress. Zwischen Herisau und Wattwil sowie zwischen Uznach und Wattwil erreicht die einzige Fernverkehrsverbindung des Toggenburgs in beide Richtungen Pünktlichkeitswerte von über 97 Prozent.