Wil
Viel Fremdes auf den vertrauten Brettern der Tonhalle

Das Stück war bekannt, der Aufführungsort und das Ensemble auch – und doch war am Freitagabend bei Friedrich Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame» in der Wiler Tonhalle vieles anders als sonst.

Christof Lampart
Drucken
2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

Bild: Christof Lampart

Künstler und Freischaffende habe es momentan nicht einfach. Die Pandemie zwingt viele dazu, von der Hand im Mund zu leben. Vor allem dann, wenn die Bretter, die für viele die Welt bedeuten, gar nicht verfügbar, weil geschlossen sind.

Da aber auch das potenzielle Publikum eher früher als später merkt, dass das konstante Ausbleiben von kulturellen Darbietungen viel mehr als nur ein fehlendes Amüsement ist, nämlich ein gravierender Mangel an innerem Reichtum und somit auch an Lebensqualität, ist es der Leitung der Wiler Tonhalle nicht hoch genug anzurechnen: Trotz maximal zulässigen 50 Zuschauerinnen und Zuschauern je Vorstellung und somit trotz einem vorhersehbaren Verlustgeschäft setzte sie am Wochenende zwei Vorstellungen von Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie «Der Besuch der alten Dame» aufs Programm. Es handelt sich um eine Produktion des Theaters Kantons Zürich (Ko-Produktion Theater Winterthur, Regie: Elias Perrig). Die Vorstellung am Freitagabend war «ausverkauft».

Vieles verkürzt

2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

Bild: Christof Lampart

An dieser« alten Dame» war vieles anders als man es von herkömmlichen Inszenierungen dieses Werks kennt. Dabei waren die Anpassungen nicht schlecht, manchmal sogar sehr gut, aber in jedem Falle gewöhnungsbedürftig.

Das fing damit an, dass nicht nur die Eingangsszene, in der die Alten am Bahnhof den vorbeibrausenden Zügen nachsehen und dabei der alten Glorie von Güllen nachtrauern, komplett gestrichen wurde. Sowieso ist vieles an dieser Inszenierung textlich und szenisch «eingedampft» worden, was die Spielzeit deutlich verkürzt.

Nebenrollen gestrichen

Ebenso kommen viele Nebenrollen gar nicht vor oder werden, wie beispielsweise der Oberrichter Hofer, nur von einem der Darsteller mit verstellter Stimme hinter der Bühne gesprochen, während über der knallroten Bühnenrückwand ein undefinierbares Etwas, das wohl einen greisen Kopf darstellen sollte, auftaucht. Das ist bei einem Tournee-Ensemble von gerade mal acht Schauspielerinnen und Schauspielern sinnvoll und ist in Coronazeiten – Sie wissen schon: Abstand, möglichst wenige Dialoge, die von Angesicht zu Angesicht geführt werden – kein Punkt, der übersehen werden darf.

2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

2 x 50 Personen kamen am Wochenende in der Wiler Tonhalle in den Genuss der Theater-Kanton-Zürich-Produktion von Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame».

Bild: Christof Lampart

Und doch schmerzen diese Eingriffe, und sie sind nicht ganz leicht zu akzeptieren. Kommt noch hinzu, dass man zuweilen das Gefühl hatte, die 1.50-Meter-Abstandsregel sei extra für dieses Stück erfunden worden, so steif und abgemessen wirkte manchmal die physische Interaktion zwischen den Protagonisten.

Ilgs glaubhafte Transformation

Die Besetzung der Titelrolle mit einer verhältnismässig jungen Frau (Katharina von Bock) konnte man durchaus so machen – auch wenn man ihr die 65 Jahre im Stück mitnichten abnahm; sie benahm sich mehr wie eine launische Diva, denn eine grausame Rachsüchtige.

Die Person des Alfred Ill (Pit Arne Pietz) wirkte in seiner Verwandlung vom Bürgermeister in spe bis hin zum sich fürs (finanzielle) Gemeinwohl hin Opfernden, stimmig. Das liess sich auch von der devoten Mathilde Ilg (Miriam Wagner), dem opportunistischen Bürgermeister (Daniel Hajdu), dem latent brutalen Polizisten (Julian M. Boine), dem humanistisch-verklärten Lehrer (Manuel Herwig) und dem rationalen Pfarrer (Stefan Lahr) sagen.

Der Applaus kam von Herzen

Gleich in mehreren Kleinrollen als die diverse Ehemänner der Titelheldin und als Journalist war Mann (Michael von Burg) zu sehen. Das Publikum dankte den Aufführenden mit einem so kräftigen Applaus, wie ein 50-Personen-Applaus in einem 400-Personen-Theater halt wirkt: etwas ärmlich zwar, aber dafür von Herzen kommend.