Wie es ein verkehrter Senn in die Zeitung schaffte

Ein aufmerksamer Leser des «Toggenburger Tagblatts» wies die Redaktion auf einen kuriosen Lapsus beim Foto einer Sennenstatue hin.

Anina Rütsche
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Spiegelt man das Foto erneut, stimmt alles wieder – so sieht die korrekte Toggenburger Tracht aus. (Bild: PD)

Spiegelt man das Foto erneut, stimmt alles wieder – so sieht die korrekte Toggenburger Tracht aus. (Bild: PD)

Da gibt es doch tatsächlich einen Toggenburger Senn, der nicht auf der Alp daheim ist, sondern im Depot des Kunstmuseums in St. Gallen. Der Senn ist ziemlich alt, sein Jahrgang ist irgendwo im späten 19. Jahrhundert zu verorten. Erschaffen hat ihn August Bösch (1857 – 1911), ein Bildhauer aus Ebnat, der zur Zeit des Jugendstils in die weite Welt hinausgegangen war, seine Wurzeln aber nie vergessen hatte. Bösch ist vor allem für seine grösseren, monumentalen Werke bekannt, zum Beispiel für den Broderbrunnen in der Kantonshauptstadt, den er in den 1890er-Jahren geschaffen hat. Unser Senn spielt also meistens eine Nebenrolle im Œuvre Böschs. So auch im Bericht über die neue Jugendstilausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum in St.Gallen, der am 6. Oktober im «Toggenburger Tagblatt» erschienen ist.

Versehentlich wurde das Foto des Senns in der Fachliteratur und im «Toggenburger Tagblatt» verkehrt abgedruckt. (Bild: Anina Rütsche)

Versehentlich wurde das Foto des Senns in der Fachliteratur und im «Toggenburger Tagblatt» verkehrt abgedruckt. (Bild: Anina Rütsche)

Nun aber kommt die Marmorskulptur doch noch zu ihrem grossen Auftritt, denn dem aufmerksamen Zeitungsleser Gallus Gähwiler ist aufgefallen, dass mit dem Foto des Senns etwas nicht stimmt. Daraufhin wandte sich der Wattwiler an die Redaktion. Handschriftlich teilte er mit: «Bei dieser wunderbar präzis gearbeiteten Figur fällt auf, dass der Senn den Ohrschmuck auf der falschen Seite trägt, ebenso das Lendentuch. Dem Toggenburger Künstler ist wohl kaum ein solcher Fehler unterlaufen.» Gallus Gähwiler äusserte auch die Vermutung, dass das Bild des Senns in der Zeitung wohl seitenverkehrt reproduziert worden sei. Auf telefonische Anfrage verrät Gallus Gähwiler, dass er die Unstimmigkeit bemerkt habe, weil sein Hobby die Senntums-Schnitzerei sei und er sich deshalb bei Motiven wie diesem auskenne.

Die Suche nach dem Fehler beginnt

Und schon begann eine Kettenreaktion. Die überraschte Journalistin, die notabene nicht aus dem Toggenburg stammt, schaute sogleich nach, ob beim Layouten oder der Bildbearbeitung etwas schief gelaufen war. Fehlanzeige, denn das Foto in der Zeitung stimmte mit der Vorlage überein, die in der Schrift «Der Bildhauer August Bösch – Ein Deutschrömer Künstler aus dem Toggenburg» zu sehen ist. Diese Fachpublikation hat Daniel Studer, Direktor des Historischen und Völkerkundemuseums in St.Gallen, im Jahr 2004 herausgegeben. Das Sennenfoto ist auf Seite 8 zu finden, gespiegelt seit über einem Jahrzehnt, was bisher aber niemand gemerkt hatte. Auf das Bild angesprochen, antwortet Daniel Studer: «Gallus Gähwiler hat recht. Die Skulptur ist tatsächlich seitenverkehrt abgebildet worden. Ich habe den Sammlungskatalog des Kunstmuseums St.Gallen konsultiert. Dort trägt der Senn den Ohrschmuck auf der linken Seite, das heisst im rechten Ohr.»

Nach all den Jahren lässt sich nicht mehr nachverfolgen, warum der Irrtum passiert sein könnte. Macht nichts, denn immerhin bekommt der Toggenburger Senn aus den Tiefen des Archivs endlich seine längst überfällige Hauptrolle. Und nicht nur das: Die Journalistin und der Museumsdirektor werden sich das neu erworbene Wissen hinter die Ohren schreiben, auf der rechten Seite, wohlverstanden, und ohne Zuhilfenahme eines Spiegels.