Tradition
Seit bald 100 Jahren: Anders als am Säntis erlitt die Schweizer Fahne in Bütschwil noch nie Sturmschäden

Seit den 30er-Jahren hängt zur Bundesfeier eine Schweizer Fahne am Felsenkreuz unter dem Geissberg. Wie die grosse Säntis-Fahne stammt die heutige Version von der Wiler Heimgartner Fahnen AG. Aber sie hat schon deutlich mehr erlebt als die grosse Schwester im Alpstein.

Sascha Erni
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Seit Jahrzehnten fasziniert die Schweizer Fahne unter dem Geissberg in Bütschwil.

Seit Jahrzehnten fasziniert die Schweizer Fahne unter dem Geissberg in Bütschwil.

Bild: Stefan Sennhauser

Generationen von Urlaubsreisenden und Einheimischen kennen sie. Jeweils eine Woche vor dem 1. August erscheint die grosse Schweizer Fahne am «Felsenkreuz» unter dem Geissberg bei Bütschwil. Ob im Zug, auf der Umfahrung oder beim Besuch des Dorfes, sie ist kaum zu übersehen. Und dann, ein bis zwei Wochen nach dem Bundesfeiertag, verschwindet die Fahne wieder für elf Monate.

25 statt 6400 Quadratmeter, aber vom selben Hersteller: Die Fahne in Bütschwil mag nicht so eindrücklich wirken wie die am Säntis. Aber dafür hat sie eine bedeutend längere Geschichte vorzuweisen, eine, die bis in die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht.

Erst Eigenregie, dann Auftrag

Beat Schäfli montierte 50 Jahre lang, wie hier 2013, die Schweizer Fahne eigenhändig.

Beat Schäfli montierte 50 Jahre lang, wie hier 2013, die Schweizer Fahne eigenhändig.

Bild: Urs Huwyler

Die Ursprünge der Tradition reichen bis vor den Zweiten Weltkrieg zurück. Schon früh mit dabei waren Beat Schäfli und dessen Familie aus Bütschwil. «Ich habe die Fahne sicher gut 50 Jahre lang hochgehängt», erklärt der heute 75-Jährige. Angefangen habe alles mit zwei Weberei-Arbeitern, die eine erste Version der Bütschwiler Schweizer Fahne in Eigenregie fertigten und an einem 1. August installierten.

«In den 30er-, 40er-Jahren war das ein Highlight, mit dem Patriotismus, der vorherrschte», erzählt Beat Schäfli. Als die Ursprungsfahne irgendwann in Stücke fiel, kaufte die politische Gemeinde selbst eine. Und Schäflis Vater und Onkel übernahmen die Montage.

Waghalsige Montage

Vor einiger Zeit nun übergab Beat Schäfli den traditionellen Montage-Auftrag an Marco Wohlgensinger vom Werkhof Bütschwil-Ganterschwil. Dieses Jahr installierte Wohlgensinger zusammen mit Werner Schefer, Hans Schönenberger und Silvan Gmür vom Werkhof sowie den Brüdern Marco und Fabian Eberhard die Schweizer Fahne. Die Gebrüder seien wichtige freiwillige Helfer, erklärt Marco Wohlgensinger. «Sie sind diejenigen, die sich ganz in die Wand abseilen.»

Früher kümmerte sich das Werkhof-Team von Marco Wohlgensinger nur zu viert um die Fahne: Einer seilte sich in einem waghalsigen Manöver ab, ein anderer reichte die Fahne, zwei spannten sie. «Mittlerweile haben wir aber immer zwei in voller Kletterausrüstung mit dabei», erzählt der Gruppenleiter. Die Sicherheit gehe vor, denn die Montage sei nicht ohne.

Schwindelerregende Felswand

Die Bütschwiler Schweizer Fahne ist freihängend, an Stangen befestigt und berührt die Felswand nur an der unteren Kante. Das macht die Montage schwieriger, als wenn man die Fahne einfach an die Wand schlägt, dafür hängt sie schöner. Es sei zwar auch ohne die zwei Kletterer noch nie zu einem Unfall gekommen, sagt Marco Wohlgensinger, aber:

«Es ist nicht ganz ungefährlich da oben am Felsenkreuz.»

Von der Wiese der Familie Brander auf dem Geissberg führt ein Weg in einen kleinen Wald, dort weiter bis zum Felsvorsprung. Vor einiger Zeit habe man viel Totholz aus dem Wald geholt und Holz, das die Felswand bedeckt hatte, entfernt. Dadurch wirke das Felsenkreuz von oben noch schwindelerregender als zuvor. «Es ist nicht mehr gemütlich, da oben zu stehen», sagt Marco Wohlgensinger. Dann lacht er. «Heute binden wir uns alle an.»

Diese Aufnahme aus dem Jahr 2019 zeigt, wie halsbrecherisch die Montage der Schweizer Fahne tatsächlich ist.

Video: Werkhof Bütschwil-Ganterschwil

Anonymer Spender sorgte für Fahnen-Ersatz

Wie die XXL-Version am Säntis stammt auch diese Schweizer Fahne von der Firma Heimgartner Fahnen AG aus Wil. Erst vor fünf Jahren ist sie laut Marco Wohlgensinger ersetzt worden. «Die alte Fahne war verwittert, altersschwach. Beim Znüni spöttelten wir darüber, und dass wir wohl jemanden bräuchten, der einen Ersatz finanziert.»

Denn ganz billig ist eine fertig konfektionierte Fahne, fünf auf fünf Meter, nicht. Zwischen viereinhalb und fünftausend Franken war der Kostenvoranschlag. Ein Bütschwiler Bürger habe die Werkhof-Arbeiter beim Znüni gehört. Und sei dann mit Bargeld bei der Gemeinde erschienen. «Die Verwaltung war ganz verdutzt, aber wir waren sehr dankbar», erinnert sich Wohlgensinger. Der grosszügige Spender wolle aber heute anonym bleiben.