Kolumne
Speerspitz: Nicht alles an einem Tag

Wenn Weihnachten nähert, mehren sich die Bettelbriefe. Die ganze Welt lässt sich aber nicht an einem einzelnen Tag retten.

Liska Meier
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Liska Meier, Produzentin (Bild: PD)

Liska Meier, Produzentin (Bild: PD)

Daheim öffne ich das analoge Briefkastenfach und mir fallen mindestens sieben an mich persönlich adressierte Briefe entgegen. Ich schlucke leer. Seit wann diese Fülle? Was hab ich denn angestellt?

Doch dann fällt mir ein, dass ja noch gar nicht Freitag ist, zumindest nicht an dem Tag, an dem ich das hier schreibe. Erleichterung. Denn die «bösen» Briefe kommen immer freitags. Oder vor den Ferien. Damit man danach mindestens 48 Stunden lang mit dem Wissen um die schlechten Nachrichten untätig vor sich hin schmoren muss.

Woher hat das Aargauer Heim die Adresse?

Aus einem der Briefe kullert ein Bleistift mit Radiergummi in Schmetterlingsform. Passend für ein Kleinkind. Aber meine Kinder lassen sich schon längst nicht mehr mit herzigen Bleistiften ködern und das Gottemeitli ist altersmässig auch drüber hinweg. Den Einzahlungsschein lege ich weg. Im nächsten Brief steckt ein Kalender mit Tierfotos, auch mit Einzahlungsschein. Der Absender ist ein Heim aus dem Aargau. Woher bloss kennt das mich?

Dann folgen ein herzförmiges «Post-it»-Blöckli, Fabrikat extra klein, ein Kalender mit Landschaftsfotografien, krumm gefaltet, damit er auch aufgehängt an der Wand bestimmt keine Falle mehr macht, ein Plakat, schon wieder eine Art Kalender, blanko Ansichtskarten mit Meerestieren drauf, ein rotes Kreuz in Form einer Anstecknadel, Dankesbriefe, Vor-Dankesbriefe, Bittbriefe – und die Last auf meinem Herzen wird immer schwerer.

Die Welt retten, aber nicht an einem Tag

Was ich im Geschäftsleben gut kann, nämlich selektionieren, aussortieren, organisieren, delegieren, vermeintlich Wichtiges von weniger Wichtigem trennen, kriege ich nun gar nicht auf die Reihe. Unbeholfen sitze ich vor der Beige Spendenaufrufe aus aller Welt auf meinem Küchentisch und fühle mich überfordert. «Nur noch kurz die Weltretten», singt Tim Bendzko – das möchte ich ja auch! Tiere, Kinder, Senioren, Kranke, Hungernde, Landschaften, Länder, Gletscher unterstützen. Aber nicht an einem Tag. Nicht alles aufs Mal. Der Briefberg ist auch mir zu hoch. Ich stehe auf und komme am Kalender aus dem noch gültigen Jahr vorbei. Auf dem Monatsblatt steht ein Satz: «Alles Grosse beginnt mit dem ersten Schritt.»