Seit 40 Tagen bleibt im Toggenburg und in der Region Fürstenland der Regen aus. Ob Förster, Fischer oder Kraftwerkbetreiber – alle leiden unter der Trockenheit.
Eigentlich ein Bild, an das man sich gewöhnen könnte: blauer Himmel, heiter Sonnenschein, Kurz-Hosen-Wetter. Sommergefühle kommen auf. Mitten im April. Normalerweise fällt in diesem Monat an der Messstelle Ebnat-Kappel gemäss den Daten von Meteo Schweiz über 130 Millimeter Niederschlag. 2020 sind es mickrige 0,8 Millimeter.
Die Hochdruckgebiete Loris, Max, Nikolas und Odilo sind für den staubtrockenen April verantwortlich und stellen Wasserversorger, Fischerverbände, Förster, Landwirte und Wasserkraftwerksbetreiber vor Probleme.
«Unsere Wasserquellen geben schon etwas nach», bestätigt Alex Hollenstein, Geschäftsleiter der Thurwerke AG in Wattwil. «Wie ein Wasserhahn, den man langsam zudreht», erklärt er. Es sei speziell, dass der Wasserfluss schon so früh im Jahr rückläufig ist. Ein klares Warnsignal, aber noch kein Grund zur Panik.
Ein baldiger, kontinuierlicher Regenschauer wäre aber durchaus wünschenswert. «Weil viele Zweitwohnungsbesitzer während der Coronapandemie ins obere Toggenburg flüchten, ist der Wasserverbrauch im Vergleich zu anderen Jahren deutlich angestiegen», sagt Norbert Fischbacher, Brunnenmeister der Dorfkorporation Wildhaus.
Rund um Wil brauchten die Leute im April mehr Wasser, weil sie den Rasen sprenkelten oder den Pool einlaufen liessen. Akute Versorgungsprobleme macht auch René Rüttimann, Geschäftsleiter des Regionalwerks Toggenburg (RWT) nicht aus. Eine lang andauernde Trockenphase im Frühjahr könnte aber die Wasserversorgung im Herbst beeinträchtigen:
«Eine Trockenphase macht sich an unseren Quellen nicht unmittelbar, sondern mit drei bis sechs Monaten Verzögerung bemerkbar.»
Der schwache Wasserfluss der Thur, der die Turbinen des Wasserkraftwerks Mühlau in Bazenheid antreibt, macht dem RWT mehr zu schaffen. «Derzeit erzeugen wir wegen des wenigen Wassers nur einen Viertel des Stroms, den wir unter Volllast produzieren könnten», erklärt Rüttimann.
Der Frühling gehört sonst zu den ergiebigsten Jahreszeiten. Das ist heuer anders. Besserung ist nicht in Sicht. «Unser ‹Wasserspeicher› ist der Schnee in den Bergen. Davon hatte es diesen Winter viel zu wenig. Aufs Schmelzwasser können wir also kaum mehr zählen», stellt Rüttimann fest.
Damit ist auch Christoph Birrer, Abteilungsleiter Fischerei beim St.Galler Amt für Natur, Jagd und Fischerei einig. «Der Wasserstand der Bäche und Flüsse in der Region schwindet seit Tagen. Kleinere Gewässersysteme sind bereits ausgetrocknet, etwa der Gerenbach zwischen Ebnat-Kappel und Wattwil», berichtet Birrer.
Problematisch, nicht nur weil die Fische sterben: «Auch Wasserinsekten, die Nahrungsgrundlagen für Fische, sterben ohne Wasser», weiss Birrer. In den Bächen im oberen Toggenburg ist die Lage dank des Schmelzwassers etwas entspannter als beispielsweise im Fürstenland.
Der Necker steht aber unter besonderer Beobachtung. Im Gegensatz zur Thur ist hier kein Schmelzwasser mehr vorhanden und somit sind Niederschläge wichtig, der Wasserstand ist aktuell sehr tief. «Wenigstens sind die Wassertemperaturen aufgrund der noch tieferen Tagesmitteltemperatur als im Sommer noch moderat. Das passt den Fischen», sagt Birrer.
Spezielle Aufmerksamkeit kommt in diesen Tagen den Wäldern zu: Aufgrund akuter Waldbrandgefahr wurde im ganzen Kanton ein Feuerverbot im Wald und an Waldrändern gesprochen. Claude Engeler, Revierförster von Wilen und Sirnach, appelliert an die Selbstverantwortung der Bürger, sich an das Feuerverbot zu halten. Ihn beschäftigen momentan andere Sorgen: «Wir müssen diesen Frühling neugepflanzte Bäume bewässern, sonst drohen sie abzusterben, bevor sie richtig anwachsen konnten. Das gab es seit über 70 Jahren nicht mehr!»
Die Bauern, denen die Waldstücke gehören, führen das Wasser mit Tanks oder grossen Kannen zu den Jungbäumen – ein erheblicher Mehraufwand. Doch auch ältere Bäume sind in Gefahr. Im Speziellen die Fichte, die wegen ihrer an der Bodenoberfläche verlaufenden Wurzeln nicht an die Wasserreserven in tieferen Bodenschichten gelangt. Engeler:
«Die Fichte leidet derzeit unter Trockenstress und wird so anfällig für Borkenkäfer. Die leben jetzt im Eldorado.»
Besserung ist erst mit dem ersten, ausgiebigen Regen in Sicht.
«Der Ertrag der ersten und wichtigsten Heuernte des Jahres fiel – der Trockenheit geschuldet – um einiges tiefer als normal aus», berichtet Daniela Paul von der Fachstelle Pflanzenbau und Umwelt des Landwirtschaftlichen Zentrums in Flawil. Auf das Ausbringen der Gülle sollte in solch trockenen Tagen verzichtet werden.
Die Aussaat von Mais, die in den letzten Tagen begonnen hat, sei aber möglich. «Gepflügte Böden sollten noch ausreichend Feuchtigkeit aufweisen, um die Keimung zu erlauben», sagt Daniela Paul. Sie kann der Trockenheit auch etwas Positives abgewinnen: Auf Erdbeeren gibt es kaum Mehltau-Pilze. Deshalb müssen weniger Fungizide eingesetzt werden. Aber auch Paul sagt: «Wir sind auf baldigen Regen angewiesen, sonst droht sich die Lage drastisch zu verschärfen.»