Die Ehrgeizige: Lichtensteigerin führt die Stiftung Lokremise St.Gallen

Mirjam Hadorn ist Galeristin und seit Januar 2017 Geschäftsführerin der Stiftung Lokremise in St.Gallen. Ihre Offenheit und ein Kurswechsel in ihrem Leben machten die Tätigkeiten erst möglich.

Sascha Erni
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Mirjam Hadorn zeigt ein Werk von Cornelius M. Heinzer. (Bild: Sascha Erni)

Mirjam Hadorn zeigt ein Werk von Cornelius M. Heinzer. (Bild: Sascha Erni)

Mirjam Hadorn ist an diesem Tag in ihrer Galerie in Lichtensteig anzutreffen. Das vierstöckige Altstadthaus ist zugleich Ausstellungs- als auch Wohnraum. In den oberen Stockwerken lebt sie mit ihrem Partner Martin Fricker, die unteren zwei Etagen zeigen seit 2011 Werke sowohl regionaler wie internationaler Künstlerinnen und Künstler. Dass es dazu gekommen ist, überrascht, betrachtet man den Lebenslauf der 41-Jährigen.

Bis 2013 arbeitete sie in verschiedenen Managementpositionen im Finanz- und Versicherungsumfeld. «Ich habe ein gewisses Talent für die Management-Arbeit, die Karriere war für mich quasi schön vorgegleist», erzählt Hadorn. Aber das Lineare ihres Lebenslaufs hätte ihr zu denken gegeben. Sie befürchtete, ihre eigenen Interessen zu vergessen und sich ganz einem Unternehmen zu verschreiben.

«Also sagte ich mir: Stopp! Andere Richtung.»

Teile ihres Umfeld reagierten entsetzt auf diesen Bruch im beruflichen Lebenslauf. Nicht aber ihr Partner und ihre Mutter. Die ersten zwei Jahre führte Anna Hadorn, selbst Künstlerin, die Galerie. Mirjam hielt sich im Hintergrund. Und lernte.

Fliessender Übergang vom Ausstellen zum Wohnen

Mirjam Hadorn führt durch den geräumigen Altbau. Es geht enge Treppen hoch und durch verwinkelte Räume. Der Übergang vom Ausstellungs- zum Wohnbereich ist fliessend. Überall steht und hängt Kunst, daneben viele Regalmeter an Büchern.

Sie sei schon als Kind vielseitig interessiert gewesen, Kultur war aber lange Zeit kein Thema. Sie hätte mit ihrem Partner verschiedene Ansätze durchgedacht, aus dem Haus hätte auch ein Bücher-Brocki oder ein Plattenladen werden können. «Hauptsache etwas, das das Städtchen Lichtensteig beleben könnte», ergänzt sie. Zusammen mit Anna Hadorn eröffnete sie schliesslich 2011 eine Galerie. Dann wollte sie das Metier richtig erlernen.

Wissen und Theorie genügen ihr nicht

Von 2013 bis 2015 besuchte Mirjam Hadorn den Vorkurs der Schule für Gestaltung in St.Gallen. Sie hätte nicht nur wissen wollen, zu welchem Stil ein Gemälde passt, erklärt sie. Viel mehr wollte sie auch nachvollziehen können, wie schwierig es tatsächlich ist, eines zu erschaffen. Parallel dazu belegte sie den CAS-Kurs in Kulturmanagement an der Hochschule Luzern und schloss im Jahr 2015 mit Diplom ab. Mirjam Hadorn lacht und sagt:

«Wenn ich etwas anfange, dann habe ich den Anspruch, das richtig zu machen.»

Wissen und Theorie genügen ihr nicht, sie benötige ebenfalls das Machen und die Praxis. Deshalb brachte sie sich auch in verschiedenen Vereinen ein. Noch heute ist sie Präsidentin der «Wilden Weiber Lichtensteig», die diesen Sommer bereits zum fünften Mal in Folge am «Langen Tisch» zu Speis und Trank geladen hatten.

Mirjam Hadorn eröffnet mit Stadtpräsident Mathias Müller den Langen Tisch 2017. (Bild: Sascha Erni)

Mirjam Hadorn eröffnet mit Stadtpräsident Mathias Müller den Langen Tisch 2017. (Bild: Sascha Erni)

Im dritten Obergeschoss des Hauses hängt eines ihrer eigenen Bilder. Im Gespräch ist man im Jahr 2015 angekommen. Sie hatte damals die frisch geschaffene, befristete Position als Lichtensteiger Kulturvernetzerin inne. Das Städtli Lichtensteig benötigte gemäss Leitbild jemanden mit ihrem Background, eine Mischung aus Management und Kultur.

Sie musste in diesem Feld erst Fuss fassen. «Meine persönlichen Interessen und die Interessen der Gemeinde haben sich perfekt getroffen», erinnert sich Hadorn. In ihrer neuen Rolle etablierte sie die «Mini.Usstellig» im Rathaus und kam mit unzähligen Kulturschaffenden in Kontakt. Mit Martin Fricker lancierte sie die Kunst-Tage und richtete das «Window of Opportunity» an der Hauptgasse ein.

Herausforderungen fürs Toggenburger Kulturleben

Seit 2017 wirkt Mirjam Hadorn in der St.Galler Lokremise. Ein einmalig-inspirierender Ort, wie sie sagt. Auch hier profitiert sie von dem, was ihr Umfeld damals einen «erschreckenden Bruch» im Lebenslauf genannt hatte – die Kombination aus Managementerfahrung und Kunstwissen passe perfekt zu den vielfältigen Geschäftsführungsaufgaben. Ob ein Bankett für 300 Personen, ein Gastspiel von freien Künstlern oder ein Fotowettbewerb mit Ausstellung, nichts davon sei nebenbei geplant oder passe zu einem bestimmten Berufsbild. Sie sagt:

«Erfahrung macht keinen Halt am Blattrand des Diploms.»

Die Arbeit in der Lokremise sei interdisziplinär. «Es ist die Art von Arbeit, wo ich alles einbringen kann, was ich machen kann – und ausleben darf, was ich machen will.»

Eine Galerie im Toggenburg, die Geschäftsführung in der Stadt – was folgt als nächstes? Aktuell befinde sich ein Projekt in Vorbereitung, im Kontext des sich wandelnden Kunstmarkts. «Die Galerien drohen zu lokalen Treffpunkten Gleichgesinnter zu verkommen», erklärt Hadorn. Sie müssen deshalb ihre Rolle neu definieren und sowohl Reichweite als auch Relevanz sicherstellen. Das erfordere einerseits eine überregionale Vernetzung der Plattformen. Andererseits eine aktive Einflussnahme auf die Kunstproduktion.

Wenn sie etwas anfange, dann mache sie das richtig, sagt Mirjam Hadorn von sich selber. (Bild: Sascha Erni)

Wenn sie etwas anfange, dann mache sie das richtig, sagt Mirjam Hadorn von sich selber. (Bild: Sascha Erni)

Die gleichen Herausforderungen stellen sich dem Kulturleben im Toggenburg generell. Zwar sei die Unterstützung und Offenheit überall sehr hoch. Aber Anforderungen an Relevanz und Qualität würden kaum gestellt. Wenn Kultur ein Auszeichnungsmerkmal für die Region sein soll, dann reiche die Mentalität «von uns, für uns» nicht aus. Viel mehr müsse sich das Kulturschaffen permanent weiterentwickeln – und das gehe nur, wenn man den gewohnten Rahmen verlasse und lerne, wie und auf welchem Niveau Kreative andernorts arbeiten. «Nur wer besser sein will, darf wirklich stolz auf das Geleistete sein», betont Mirjam Hadorn.