Geschichte
Flugzeugabsturz bei Krummenau: «Vor den Augen des Piloten fiel der ‹Vorhang›»

In diesen Tagen vor 60 Jahren ist ein Venom-Kampfjet der Schweizer Luftwaffe bei Krummenau abgestürzt – der Pilot überlebte. Einer, der das Ereignis genau kennt, ist Heinz Zwingli aus Ebersol.

Urs M. Hemm
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Ein Flugzeug des Typs De Havilland D.H.112 Venom stürzte am 9. Mai 1961 bei Krummenau ab.

Ein Flugzeug des Typs De Havilland D.H.112 Venom stürzte am 9. Mai 1961 bei Krummenau ab.

Bild: Rudolf Wicki

Die Schweizer Luftwaffe verlor seit ihrer Gründung im Jahr 1914 insgesamt über 350 Flugzeuge durch Abstürze. Da die Region Toggenburg und das Säntisgebiet seit jeher zu den Übungsgebieten der Luftwaffe zählen, mussten auch hier zwei Unglücke verzeichnet werden. Eines ereignete sich im Jahr 1960, als bei Neu St.Johann eine North American AT-16 mit zwei Besatzungsmitgliedern abstürzte. Beide Piloten überlebten den Absturz nicht.

Das andere Unglück geschah am 9. Mai 1961 nahe Krummenau. An diesem Tag stürzte eine De Havilland D.H.112 Venom mit der Immatrikulationsnummer J-1795 ab. Der Pilot, Wachtmeister Ruggaber, konnte sich mit dem Schleudersitz retten und überlebte den Absturz nur leicht verletzt.

Die Immatrikulationsnummer J-1795 ist auf dem Trümmerstück noch zu erkennen.

Die Immatrikulationsnummer J-1795 ist auf dem Trümmerstück noch zu erkennen.

Bild: Urs M. Hemm

Pilot konnte den Auslöser nicht erreichen

In seinem Buch «Gebrochene Flügel» beschrieb Aviatik-Journalist Peter Brotschi alle Flugunfälle der Schweizer Luftwaffe von deren Gründung im Jahr 1914 bis zum Erscheinungsdatum des Buches im Jahr 2001, unter anderem auch den Absturz bei Krummenau.

Bei diesem verhängnisvollen Flug am 9. Mai 1961 handelte es sich um einen normalen Übungsflug im Raum Säntis, an welchen vier Venom beteiligt waren. Ihr Start- und Zielflughafen war Dübendorf. Im Buch heisst es: «Während einer Kurve bemerkte der Pilot (Wachtmeister Ruggaber, Anm. der Red.) plötzlich eine grosse Beschleunigung.

Obwohl er mit aller Kraft den Steuerknüppel nach vorne drückte, vergrösserte sich die Beschleunigung stark und vor den Augen des Piloten fiel der ‹Vorhang›. Das heisst, dass das Blut aus dem Kopf in die unteren Körperpartien versackte, was dem Piloten das Sehvermögen raubte.»

Eine Anzeige der abgestürzten Venom.

Eine Anzeige der abgestürzten Venom.

Bild: Urs M. Hemm

Dadurch habe der Pilot die Fluglage der Venom nicht erkennen können, weshalb er zunächst nicht erkannte, in welch misslicher Lager er sich tatsächlich befand. Da sich nach dem Gefühl des Piloten die ungewöhnliche Fluglage des Düsenjets jedoch nicht änderte, habe er an seine Rettung gedacht. Im Buch schreibt Brotschi: «Der Pilot versuchte, die rechte Hand zur einzigen Schleudersitz-Auslösung zu heben, die sich über dem Kopf befand, gelangte aber nur bis zum Helmvisier. Mit letzter Kraft und mit Hilfe der linken Hand konnte er den Griff erreichen und so den rettenden Sitz auslösen.»

Ruggaber landete schliesslich mit seinem Fallschirm im Gebiet Hochalp – der Schleudersitz wurde vier Tage später einige Kilometer entfernt gefunden.

Die Schweizer Luftwaffe, hier ein Teil des Schweizerkreuzes, besass 250 Maschinen des Typs Venom.

Die Schweizer Luftwaffe, hier ein Teil des Schweizerkreuzes, besass 250 Maschinen des Typs Venom.

Bild: Urs M. Hemm

Über die Absturzursache ist nichts weiter zu erfahren. Nur, dass der Venom – es war nach dem Typ Vampire eines der ersten düsenbetriebenen Flugzeuge der Schweizer Luftwaffe – nicht immer einfach zu fliegen war. Dennoch besass die Schweizer Armee zu der Zeit 250 Flugzeuge dieses Typs, die von 1954 bis 1983 im Einsatz waren.

«Andere hatten weniger Glück»

Heinz Zwingli aus Ebersol kennt sich mit Flugzeugunglücken im Toggenburg aus. Er kennt auch die Absturzstelle der Venom aus dem Jahr 1961. Eigentlich hatte sich er auf Absturzstellen von Bombern spezialisiert, die während des Zweiten Weltkriegs auf Schweizer Boden niedergingen. «Als ich aber irgendwann alle bekannten Orte besucht hatte, begann ich mich für Flugzeugabstürze der Schweizer Luftwaffe zu interessieren», erzählt Heinz Zwingli.

Die Absturzstelle der Venom sei früher eine Wiese gewesen. Doch auch nachdem die Armee die Trümmer beseitigt hatte, seien noch viele kleine Bruchstücke übrig geblieben, die eine Gefahr für das Vieh darstellten. Daher wurde dort nach dem Unglück Wald gepflanzt. Dennoch seien dort immer noch Spuren des Absturzes zu finden und durch Erosion Trümmerteile zu entdecken.

Gemäss diesem Trümmerstück wurde die Venom von der Totax LTD in London, England, gebaut.

Gemäss diesem Trümmerstück wurde die Venom von der Totax LTD in London, England, gebaut.

Bild: Urs M. Hemm

So habe er noch Typenschilder und andere Kleinteile des Flugzeugs gefunden, welche die Herkunft und den Produktionsort in England belegen würden. «Aber lediglich die eine limitierte Anzahl von Flugzeugen wurde direkt vom Produzenten in England bezogen. Später wurden die Flugzeuge beispielsweise in Emmen produziert und in Altenrhein gewartet», weiss Heinz Zwingli.

Zuletzt wurde die Maschine im Jahr 1959, zwei Jahre vor dem Unglück, in Altenrhein geprüft.

Zuletzt wurde die Maschine im Jahr 1959, zwei Jahre vor dem Unglück, in Altenrhein geprüft.

Bild: Urs M. Hemm

Der betreffende Venom wurde zuletzt von der FFA, den Flug- und Fahrzeugwerken Altenrhein, gewartet, wie ein Fund belegt. Gemäss dieser Plakette wurde die Venom J-1795 zuletzt im November 1959, also zwei Jahre vor dem Unglück, durchgecheckt. Andere Teile stammen vom Triebwerk oder belegen die Immatrikulation des Jets. All dies seien aber lediglich Belege für die Heftigkeit des Absturzes. «Gott sei Dank ist dieses Unglück noch glimpflich ausgegangen. Andere Piloten hatten weniger Glück.»