Startseite
Ostschweiz
Toggenburg
Von Europa über Amerika bis nach Asien: Der Bündner Schriftsteller Arno Camenisch hält Lesungen auf der ganzen Welt. Nun war er in der Kantonsschule Wattwil zu Gast. Er erzählte den Schülerinnen und Schülern Geschichten aus seinem Leben und las ihnen aus seinen Werken vor.
Ob Hongkong, Moskau, Buenos Aires oder New York – der Bündner Schriftsteller Arno Camenisch hat schon vielerorts aus seinen Werken gelesen und ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Zahlreiche Auszeichnungen küren den Autoren, darunter den Schweizer Literaturpreis, den Schillerpreis und den Hölderlin-Förderpreis. Sogar ein Dokumentarfilm namens «Arno Camenisch – Schreiben auf der Kante» wurde über ihn produziert.
Am Mittwoch besuchte der bekannte Schriftsteller die Kantonsschule Wattwil, las zwei Klassen aus seinen Büchern vor und gab etwas aus seinem Spoken-Word-Repertoire preis.
«Für mich war Literatur in eurem Alter ein ganz anderer Planet. Ich spielte gerne Fussball und fuhr Ski, aber gelesen habe ich nicht.»
Wie er Autor wurde, wisse er selbst nicht so genau. Als in der Schule die Zeit der Berufsfindung anstand, habe ihm ein Kollege gesagt, er mache das Lehrerseminar. Der junge Camenisch antwortete daraufhin: «Das mache ich auch.» Hätte er gewusst, dass man so viel singen müsse, wäre er nicht dorthin gegangen, meint er im Nachhinein. Mit diesem Einstieg überwindet der Bündner schnell die Distanz zu seinem Publikum und ernet Lacher.
Gleich zu Beginn liest Camenisch auf humoristische Art und Weise aus seinem Buch «Die Launen des Tages». Den Grossteil davon scheint er schon auswendig zu kennen, was daran liegen könnte, dass er seine Bücher sehr oft überarbeitet, bevor sie veröffentlicht werden. Er sagt:
«Ich drehe jedes Wort fünf Mal um.»
Über jeden Punkt und jedes Komma mache er sich Gedanken. Das sei wie bei Marcel Hirscher, bei welchem auch genau über den Schliff von dessen Skikante diskutiert werde. Das «Gut zum Druck» gebe er immer erst, wenn er sein Buch mehrmals selbst durchgelesen habe und damit zufrieden sei. Der Moment, wenn ein Buch veröffentlicht wird, sei trotzdem immer aufregend.
Was während des Schreibprozesses genau vor sich gehe, will der Autor nicht verraten. Das bleibe ein Geheimnis wie das Rezept seiner Grossmutter, welche die besten «Capuns» der Welt mache.
Stattdessen nimmt er die Schülerinnen und Schüler in die Welt seiner Bücher mit, die alle untereinander verbunden seien. Er kreiere mit seinen Büchern eine eigene Welt, weshalb man teilweise die gleichen Charaktere in unterschiedlichen Büchern wiederfinde. «Schreiben ist für mich immer Erzählen». Und das habe er wohl schon immer gerne gemacht.
Zwischen dem Vorlesen der Textpassagen hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer die Chance, Fragen zu stellen. Er selbst, verrät der Schriftsteller, hätte sich in diesem Alter nie getraut eine Frage zu stellen. Viel zu schüchtern sei er damals gewesen. Manche Schülerinnen überwinden die besagte Unsicherheit und fragen beispielsweise, ob sich ein Autor wirklich so viele Gedanken über die Bedeutung jedes einzelnen Wortes mache. Camenisch bejaht die Frage und betont, besonders die Bildsprache mache ihm viel Spass. Die Interpretation eines Textes, erzählt er weiter, sei von Person zu Person unterschiedlich. Weiter führt der Autor aus:
«Ein Text ist erst über die Leserinnen und Leser fertig. Ich kommentiere meine Texte nicht. Sind sie veröffentlicht, gehören sie euch.»
Den Grossteil seiner Werke hat Camenisch auf Deutsch verfasst. Doch gibt er seinem Publikum auch eine Kostprobe eines Spoken-Word-Textes, den er auf Rätoromanisch geschrieben hat. Spoken Word nennt man das Vortragen eines lyrischen Textes vor einem Publikum. Melodiös trägt der Autor seinen Text vor, wobei er ihn so betont, dass man einen Rhythmus heraushört.
Die Geschichten des Schriftstellers spielen stets in seiner Heimat, dem Bündnerland.
«Man muss über etwas schreiben, das man sehr gut kennt»,
findet der Autor. Der Ort sei dabei gar nicht so wichtig, was er besonders bei seinen Lesungen im Ausland merke. Egal, wo er lese, die Leute fänden sich in seinen Geschichten wieder, auch wenn sie den Kanton Graubünden nicht kennen. Selbst mitten im Thema zu sein, sei wichtig, denn der Leser schmecke das. Obwohl er fiktive Texte schreibt, bauen seine Geschichten auf seinen eigenen Lebenserfahrungen auf und beinhalten Details, die man nur kenne, wenn man etwas selbst einmal erlebt habe.
Zum Abschluss gibt Camenisch den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg, stets offen und neugierig zu sein, nicht zu sehr in der eigenen Bubble zu versinken. Er hoffe, dass auch sie etwas aus diesem Morgen mitnehmen können, nicht bloss er, der einen Korb Kägi-fret als Dankeschön erhält.
Der 41-jährige Arno Camenisch kommt ursprünglich aus einem kleinen Ort mit rund 50 Einwohnern in der Surselva im Kanton Graubünden. Er ist ausgebildeter Lehrer und hat einige Jahre in Madrid an der Schweizerschule gearbeitet. Auf seinem langen Arbeitsweg widmete er sich der Lektüre von Büchern, die er aus seinen Aufenthalten in der Schweiz mitbrachte. Später studierte er am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel, heute lebt er dort. Mittlerweile hat er sich ganz der Literatur verschrieben und bereits zehn Bücher veröffentlicht, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Seine Lesungen bringen ihn um die ganze Welt. (jue)