Am Samstag war das Chössi-Theater der Ort, in welchem der Schauspieler Mike Müller als Gemeindepräsident seine letzte Gemeindeversammlung abhielt.
«Ausverkauft» - die Deklaration wird wohl nicht an mancher Gemeindeversammlung durchgegeben. Wenn aber der Gemeindepräsident Raoul Furrler heisst, dann ist die Mehrzweckhalle voll. Am Samstag war das Chössi-Theater Schauplatz der letzten Gemeindeversammlung von Schauspieler Mike Müller.
Es beginnt, wie es immer beginnt, wenn der Gemeindepräsident die Bürgerinnen und Bürger zur Gemeindeversammlung begrüsst. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Situationen oder realen Begebenheiten sind rein zufällig: Eine persönliche Begrüssung da, ein Handschlag dort, ein aufmunterndes Wort, die Frage nach dem Wohlergehen.
Ohne Umschweife leitet der Präsident zur Versammlung über, zwei Minuten zu früh. Raoul Furrler möchte speditiv vorwärtskommen, erklärt, dass das letzte Traktandum dann wohl etwas mehr Zeit brauche, deshalb habe er es exakt jetzt auch an den Schluss der Liste gesetzt. Was den Protokollanten des Abends, Gemeindeschreiber Marco Giannini, etwas aus der Fassung bringt.
Es läuft, wie es laufen muss, die Traktanden werden hurtig abgearbeitet, doch da stellt sich einer dem Versammlungsführer in den Weg: Es ist Habegger. Ein Neuzuzüger. Zürcher. Ein Zürischnorri, Besserwisser, Alternativer. Raoul Furrler kennt ihn, stellt ihn kalt, doch Habegger mischt sich immer wieder ein in die Monologe des Präsidenten.
Dann, beim Traktandum Fusion, kommt Habeggers grosser Auftritt: Nach der Fusion werde das Grundstück mit dem alten Saustall in der Nachbargemeinde umgezont, um es dann einem reichen Autorennfahrer aus Abu Dhabi als Wohnsitz zur Verfügung zu stellen, pauschalbesteuert, das habe er, Habegger, herausgefunden.
Furrler sieht sich genötigt, dagegenzuhalten, aber dann wirft Schreiber Giannini ein: «Das Grundstück gehört Raoul Furrler!» Ups, ein Stolperstein, unvorhergesehen, Furrler kommt in Nöte und will schnellstmöglichst zur Abstimmung übergehen, doch Habegger lässt nicht locker.
Mike Müller spielt in seinem Stück «Gemeindeversammlung» alle Rollen selber: die des Gemeindepräsidenten, des Gemeindeschreibers, der Finanzvorsteherin, des Habegger, die der Antragsstellerin für kostenlose Kindergeburtstage.
Müller hat wohl manche Gemeindeversammlung als Zuschauer besucht und gut beobachtet. Er überzeichnet wohl manche Tatsache, doch der Zuschauende fühlt sich bestätigt: Ja so ist es bei uns jeweils auch. Müller spricht fast eineinhalb Stunden lang, wechselt Dialekte, argumentiert ruhig und besonnen um gleich darauf vor Wut zu explodieren.
Dann, ein Kreislaufkollaps im Publikum, Müller improvisiert, unterbricht seine Vorstellung, der Mann wird versorgt und ins Spital gebracht. Mike Müller nimmt die Versammlung wieder auf und stellt sich weiterhin der aus dem Ruder laufenden Versammlung.
Ein taffer Mann, ein abgebrühter Kommunalpolitiker, nicht unumstrittener Dorfkönig, der wie er erzählt, zur Politik wie die Jungfrau zum Kind gekommen sei. Denn es gibt noch die Meta-Ebene, die der Person Furrler, der nicht nur Gemeindeversammlungen führt, sondern auch Mensch ist. Mit Anekdoten aus seinem Leben versucht er, das Chössi-Publikum auf seine Seite zu ziehen, um die entscheidende Abstimmung an der Versammlung schliesslich zu gewinnen.
Doch dann macht er den entscheidenden Fehler: Um die Streitigkeiten mit Bürger Habegger endlich zu beenden stellt er die Vertrauensfrage. Doch das Publikum ist nicht auf seiner Seite. Falsche Frage im falschen Moment. Furrler selbstreflektiv: «Die Vertrauensfrage sollte man in der Politik nur stellen, wenn es um das Vertrauen des Gegners geht.»