ERLEBNIS
Die etwas andere Grenzerfahrung: Fremdgehen auf dem Toggenburger Höhenweg

Wandertipp XXL (2/6): In sechs Etappen führt die 90 Kilometer lange Wanderung von Wil nach Wildhaus. Der zweite Abschnitt von der Hulftegg auf die Chrüzegg ist mit dreieinhalb Stunden verhältnismässig kurz – und eindrücklich. Und man geht fremd.

Simon Dudle
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Top of Zurich: das Schnebelhorn in seiner vollen Pracht. Und wer vermisst seine Trinkflasche?

Top of Zurich: das Schnebelhorn in seiner vollen Pracht. Und wer vermisst seine Trinkflasche?

Bild: Simon Dudle

Genau 1292 Meter über Meer. Mehr liegt nicht drin im Kanton Zürich. Nicht auf dem Uetliberg, nicht auf dem Bachtel. Auch nicht, wenn man deren über 70 Meter hohe Aussichtstürme erklimmt. Die höchste Erhebung auf Zürcher Kantonsgebiet ist der Schnebelhorn-Gipfel. Ganz oben findet man einen Wanderwegweiser, einen kleinen sechseckigen Holztisch, auf dem an diesem April-Vormittag eine Getränkeflasche steht, die jemand vergessen hat. Aber kein Restaurant und auch kein Kinderkarussell. Dafür hat es einen Grenzstein. Denn ihren höchsten Berg müssen sich die Zürcher mit den St.Gallern teilen. Genau so, wie die St.Galler ihre höchste Erhebung (Ringelspitz) mit den Bündnern teilen müssen.

Eine Gratwanderung. Darum ist dieser Abschnitt als Bergwanderweg ausgeschrieben.

Eine Gratwanderung. Darum ist dieser Abschnitt als Bergwanderweg ausgeschrieben.

Bild: Simon Dudle

Aber bleiben wir auf dem Schnebelhorn, das in der zweiten April-Hälfte 2021 noch mit einigen Schneefeldern bedeckt, jedoch gut begehbar ist. So gar nichts deutet hier auf das urbane Zürich hin. Einfach nur Natur, Ruhe und eine atemberaubende Aussicht auf das hügelige Umland der beiden Kantone. Das Schnebelhorn ist der Höhepunkt der zweiten Etappe auf dem Toggenburger Höhenweg, wenn man ihn von unten nach oben begeht. Und es ist festzuhalten: Die ersten 700 Höhenmeter – netto – sind gemacht. Zwar findet diese erste und einzige Pause dieser Wanderung auf dem höchsten Punkt des Kantons Zürich statt, der Toggenburger Höhenweg wird bis nach Wildhaus aber noch deutlich voralpineres Gelände mit sich bringen.

Auf zwei Wegen unterwegs

Auf der Hulftegg-Passhöhe geht die zweite Etappe los.

Auf der Hulftegg-Passhöhe geht die zweite Etappe los.

Bild: Simon Dudle

Aber der Reihe nach: Der Start erfolgt auf der Hulftegg, 954 Meter über Meer. Wie schon bei der ersten Etappe ab Wil ist nach einer halben Stunde auch dieses Mal festzustellen: Die ersten paar Höhenmeter sind geschafft. Bis zum Aelpli waren es rund 30 Höhenmeter abwärts. Führt der Weg zuerst auf einer Naturstrasse, steigt er danach an und wird zu einem weiss-rot-weissen Bergwanderweg – und teilweise auch zu einer Gratwanderung. Und eben: Plötzlich tragen einige Wanderweg-Zeichen das blau-weisse Zürich in sich. Auch diesbezüglich ist es eine Grenzerfahrung. Die ganze Etappe läuft parallel mit dem Züri Oberland-Höhenweg.

Prächtige Aussicht Richtung Norden.

Prächtige Aussicht Richtung Norden.

Bild: Simon Dudle

Dieser Teil der XXL-Wanderung lädt dazu ein, wiederholt stehen zu bleiben und die Aussicht zu geniessen. Der Blick schweift hinab auf den Obersee, hinüber in die Glarner Alpen und auf der anderen Seite in die Hügel des Toggenburgs. Bei ganz gutem Wetter sollen auch die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau zu sehen sein. Dunst verunmöglicht an diesem Tag die Überprüfung dieser Aussage. Mal auf, mal ab führt der Weg nach dem Schnebelhorn weiter via Alp Schindelberg Richtung Chrüzegg, welche das zweite Etappenziel darstellt. Doch Achtung: Im April ist die Gartenterrasse am Wochenende geöffnet, nicht aber unter der Woche. Unter der Woche kann man sich aus dem Kühlschrank einen Most und einen Biber genehmigen – und natürlich Chrüzegg-Alpkäse.

Bergstürze als «Wiederkehrende Abläufe»

Tja. Der Weg ist aber nicht gesperrt.

Tja. Der Weg ist aber nicht gesperrt.

Bild: Simon Dudle

Da die zweite Etappe die zweitkürzeste ist, bleibt Zeit für den einen oder anderen Rast. So zum Beispiel vor den Tafeln des Geowegs, welcher rund um die Chrüzegg errichtet wurde. Dabei erfährt man viel Wissenswertes. Zum Beispiel, dass Bergstürze dem kurzlebigen Menschen als eindrucksvolles Naturereignis erscheinen, in geologischen Zeiträumen betrachtet jedoch wiederkehrende Abläufe sind. Zu lernen ist auch, wie das hügelige Toggenburg geologisch überhaupt entstanden ist.

Alles in allem eine reizvolle Etappe, welche weder besonders weit noch allzu anspruchsvoll ist, dafür die landschaftlichen Vorzüge des unteren und mittleren Toggenburgs aufzeigt. Gutes Schuhwerk ist gerade jetzt in der frühen Wandersaison empfohlen, um auf der Gratwanderung und über die Schneefelder nicht eine unliebsame Erfahrung zu machen.

Berg-Frühling auf der Chrüzegg: Lange werden sich die Schneefelder nicht mehr halten.

Berg-Frühling auf der Chrüzegg: Lange werden sich die Schneefelder nicht mehr halten.

Bild: Simon Dudle