Was kann Europa von Lichtensteig lernen – und was Lichtensteig von Europa? Diese Frage prägte den Besuch der internationalen Jury, welche das Städtli am Mittwoch als Kandidatin des Europäischen Dorferneuerungspreises unter die Lupe nahm.
Die Neugier war gross. Schon bevor Stadtpräsident Mathias Müller am Mittwochvormittag in der Kalberhalle die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedensten Lichtensteiger Organisationen vorgestellt hat, hatten die Jurymitglieder bereits ihre Notizblöcke gezückt. Die internationalen Gäste waren der Südtiroler Frank Weber (Ministerium für Raumentwicklung Südtirol), Jitka Barcalová (Ministerium für soziale Entwicklung, Tschechien) und Carlo Lejeune (Historiker, Belgien).
Der Europäische Dorferneuerungspreis wird seit dem Jahr 1990 von der Europäischen Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung und Dorferneuerung im Zweijahres-Rhythmus vergeben. Unter den 17 Preisträgern war mit Vals (Graubünden) im Jahr 2012 bisher eine Schweizer Gemeinde. Lichtensteig hat sich mit 20 anderen Gemeinden im Jahr 2022 um den Preis beworben.
Im Wettbewerb werden Anstrengungen des Dorfes bewertet, die auf eine dauerhafte, sichtbare ländliche Entwicklung zielen und in kooperative Aktionen und Pläne eingebunden sind. Zu den Anstrengungen gehören unter anderem die Stärkung der Identität der Dorfbewohner, die Erhaltung und der Aufbau standortgerechter Erwerbsmöglichkeiten, die Belebung und Einbindung der Land- und Forstwirtschaft in lokale Kreisläufe, die ökologisch verträgliche Ver- und Entsorgung, die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe sowie Aktionen, die zur Erreichung der Ziele durchgeführt wurden, wie regionale Partnerschaften und Korporationen. (art)
Von Mathias Müller und weiteren Rednerinnen und Rednern erfuhren sie, dass sich Lichtensteig in den letzten zehn Jahren gemausert habe – und zwar vom kommunalen Krisenfall zur kreativen Experimentierstube. Oder wie es Müller erklärte:
«Wir sehen in Problemen in erster Linie keine Probleme, sondern ein Potenzial, dass es abzurufen gilt.»
«Potenzial abgerufen» wurde in den letzten Jahren in Lichtensteig ganz ordentlich. Das wurde beim Dorfrundgang deutlich. Beeindruckt zeigten sich die Jurymitglieder vor allem vom grossen Freiraum, den Private und Organisationen in Lichtensteig bei der Umsetzung neuer Ideen vorfänden. Klar seien ursprünglich viele Räume und Bauten leer gestanden, die unbedingt umgenutzt werden mussten, um wieder Leben ins Städtli zu bringen. Doch die offensive Art, wie Lichtensteig die unterschiedlichsten Projekte ermöglichte, anstatt sie zu verhindern oder zumindest zu blockieren, imponierte dem Preisgericht.
Schon allein die unkonventionelle Nutzung des alten Rathauses als Rathaus der Kultur brachte Jury-Mitglied Frank Weber ins Schwärmen: «Bei uns gibt es auch so etwas, aber bei uns sind die Einschränkungen von der öffentlichen Hand so gross, dass der Freiraum dann doch nicht so gross ist», so der Südtiroler anerkennend.
Egal, ob Macherzentrum, Chääswelt oder die unkonventionelle Bepflanzung der öffentlichen Rabatten – überall war bei den Auskunftsgebenden der Optimismus spürbar. «Wir glauben an unser Tal», erklärte Macherzentrum-Mann Jürg Buff salopp. Und die Co-Leiterin des Rathauses für Kultur, Sirkka Ammann, betonte selbstbewusst, dass man, obwohl erst 2019 gegründet, «ein Knotenpunkt des lokalen Kulturschaffens» sei.
Für Rita Roos – eine der Macherinnen hinter der Chääswelt – ist klar: «Wir dürfen stolz sein, auf das, was wir hier tun. Und diese Begeisterung wollen wir nicht nur mit der Bevölkerung teilen, sondern mit allen Menschen weit über die Region hinaus.»