Die Analyse nach dem Lawinenwinter im Toggenburg: «Auf der Alp Ahorn sind wir im roten Bereich»

Nach den Lawinen auf der Säntisalp und der Alp Ahorn wurde Ingenieur Gion Meier damit beauftragt, die Lawinengefahr in den betroffenen Gebieten einzuschätzen.

Michael Hehli
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Im vergangenen Winter fiel viel Schnee. Eine Lawine donnerte auf die Schwägalp, zerstörte Teile des Hotels und beschädigte einen Masten der Säntisbahn. Während die Reparaturarbeiten dort in diesen Tagen beendet wurden, wird im Toggenburg noch an der Behebung von Lawinenschäden gearbeitet. So gingen im Schottenloch, dieses liegt auf dem Gebiet der Säntisalp, und auf der Alp Ahorn Lawinen nieder. Diese zerstörten mehrere Gebäude.

Ingenieur Gion Meier hat vor dem Wiederaufbau die Lawinengefahr in den betroffenen Gebieten eingeschätzt. Seine Abklärungen haben einen Einfluss darauf, ob überhaupt gebaut werden darf und welche Objektschutzmassnahmen getroffen werden müssen.

Welches Resultat ergaben Ihre Untersuchungen?

Durch Lawinen verursachte Gefahrenzonen im Schottenloch. Dieses liegt auf dem Gebiet der Säntisalp. (Bild: PD)

Durch Lawinen verursachte Gefahrenzonen im Schottenloch. Dieses liegt auf dem Gebiet der Säntisalp. (Bild: PD)

Gion Meier: Die Situation ist bei der Alp Schottenloch weniger kritisch als bei der Alp Ahorn. Das Schottenloch ist weniger exponiert; es sind auch keine früheren, durch Lawinen verursachte Gebäudeschäden bekannt. Das Ereignis dieses Jahr war sehr aussergewöhnlich. Auf der Gefahrenkarte befindet man sich hier im blauen Bereich, das entspricht einer mittleren Gefährdung. Folglich darf man hier wiederaufbauen, wenn man sich mit Objektschutzmassnahmen gegen die Gefährdung schützt.

Bei der Alp Ahorn ist das also anders?

Gefährdung durch Lawinen auf der Alp Ahorn. (Bild: PD)

Gefährdung durch Lawinen auf der Alp Ahorn. (Bild: PD)

Bei der Alp Ahorn hatte man schon in den Jahren 1923 und 1945 Gebäudeschäden zu beklagen. Über deren Schwere ist allerdings nichts bekannt. Dieses Jahr gab es nun offensichtlich grosse Schäden. Hier befinden wir uns im roten Bereich.

Was bedeutet die rote Zone für einen Landbesitzer?

In dieser Zone ist Bauen an sich verboten. Will man trotzdem bauen, braucht es eine Ausnahmebewilligung des Kantons.

Und wenn schon gebaut wurde?

Grundsätzlich gilt auch hier die Besitzstandsgarantie. Daher sind der Unterhalt und die zeitgemässe Erneuerung von bestehenden Bauten und Anlagen im Rahmen der Besitzstandsgarantie zulässig. Sind aber bei einem bewohnten Gebäude unzulässig hohe Personenrisiken zu erwarten und bauliche Schutzmassnahmen nicht realisierbar, ist sogar eine Umsiedlung denkbar.

So geschehen in Weggis, wo mehrere Gebäude unmittelbar unter einem instabilen Felsriegel standen. Beim Bau der Gebäude gab es leider noch keine Gefahrenkarten. Wegen des hohen Personenrisikos und der akuten Gefährdung wurden die Leute umgesiedelt und die Gebäude zurückgebaut.

Ein Ersatz für die Gebäude wurde meines Wissens von der öffentlichen Hand finanziert. Solch drastische Massnahmen sind sehr selten nötig und mussten in der Schweiz erst in einer Handvoll Fällen ergriffen werden. Im Fall der Alp Ahorn ist es elementar, dass die Gebäude im Winter nicht bewohnt sind. Ansonsten würde die Ausnahmebewilligung für den Wiederaufbau der Alpgebäude wohl kaum erteilt.

Wie kamen Sie zu Ihren Ergebnissen auf den beiden Alpen?

Die Methodik bei der Gefahrenkartierung ist relativ klar definiert. Bei den Lawinen bestimmt man zuerst die relevanten Anrissgebiete. Man schaut, wo und wie gross diese sind. Anhand von Statistiken aus nahen Schneemessstationen kann man dann die Anrisshöhe ermitteln, die zusammen mit dem Anrissgebiet das Volumen der Lawine ergibt.
Daneben sind weitere Parameter wie Reibungs- und Rauigkeitswerte zu bestimmen.

Mit diesen Ausgangswerten modelliert man die Lawine mittels einer vom Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF) entwickelten Software auf einem digitalen Geländemodell. Es resultieren die Druckkräfte der Lawine, welche zum Beispiel auf ein Gebäude oder einen Masten einer Transportanlage wirken können.

Wie genau sind diese Modelle?

Ingenieur Gion Meier (Bild: PD)

Ingenieur Gion Meier (Bild: PD)

Lawinen sind sehr komplizierte Prozesse, die mit den heute verfügbaren Modellen nur teilweise nachgebildet werden können. Um die Modellierungsresultate zu verifizieren, ist ein grosser Erfahrungsschatz nötig. Insbesondere die Interpretation der Gegebenheiten vor Ort und von stummen Zeugen, wie beispielsweise fehlendem Wald an einem Standort, wo dieser zu erwarten wäre, sind dabei entscheidend.

Im konkreten Fall haben wir die Qualität unserer Arbeit durch das SLF unter anderem mit einer gemeinsamen Begehung prüfen lassen. Somit stehen unsere Ergebnisse auf einer guten Basis. Das ist uns sehr wichtig, da die Resultate unserer Arbeit für die Alppächter entscheidende Folgen haben können.

Kam der Auftrag für die Analyse vom Kanton?

Nein, der Auftrag wurde unserem Büro von den jeweiligen Alppächtern erteilt. Das ist der Normalfall bei punktuellen Gefahrenabklärungen und Beratungen in Sachen Objektschutz. Da ist jeweils der Bauherr Auftraggeber. Bei der kantonalen Gefahrenkartierung konzentrierte man sich aus Kostengründen stark auf die Siedlungsgebiete.

Flächen ausserhalb des potenziellen Baugebietes wurden nicht näher betrachtet. Dort wird die Gefährdung durch Naturgefahren erst im Rahmen von Neu- oder Umbauten abgeklärt. So auch auf den Alpen Ahorn und Schottenloch, wo jetzt, wenn auch klar ungewollt, Bautätigkeiten nötig sind.

Zur Person

Gion Meier ist ausgebildeter Forstingenieur und arbeitet bei der Ingenieure Bart AG in St.Gallen. Dort kümmert er sich vornehmlich um die Thematik Naturgefahren. «Wir sind sehr stark im Bereich Hochwasser», sagt Meier. Das sei aus Sicht der jährlichen Schadenssummen in der Schweiz auch der wichtigste Bereich. Die Firma habe aber auch Kompetenzen bei Steinschlag, Rutschungen und Lawinen. Sie habe neben anderen für den überwiegenden Teil des Kantons St.Gallen Gefahrenkarten erstellt. Meier schätzte die Lawinengefahr der Alpen Schottenloch und Säntis auf Auftrag deren Pächter ein.