WARTH. Der erste Thurgauer Literaturförderpreis ging am Sonntag mit der Preisträger-Lesung zu Ende.
Sie sitzen in einem flachen Halbrund in der oberen Aula der Kartause Ittingen, gehen ein letztes Mal ihre Texte durch, machen sich letzte Korrekturen auf dem Papier. Die sechs Ausgezeichneten des ersten Thurgauer Literaturförderpreises «Junge Texte», junge Frauen und Männer zwischen 18 und 24 Jahren. Im Rücken reisst die Wintersonne an diesem Sonntagvormittag Löcher in den Nebel, vor ihnen sitzt eine Hundertschaft an Interessierten.
Miriam Hetzel liest als erste. Von zwei Heiligengebeinen, die sich ihre Gedanken machen über dicke Kinder. Später folgen Mirjam Keller, Paul Maetschke, Simon Michel, Nora Parolari und Tatjana Sievers.
AGNUS
Bedienungsanleitung Dosenpresse
[…] 4 Drehen, bis Presse entleert ist: Es gibt nichts zu leeren. Ich besitze das Glück, Dosen zu besitzen, nicht.
5 Achtung! Pressvorgang funktioniert nur bei geschlossenem Deckel: Ich öffne den Deckel nochmals, drehe das Rad. Ja, es stimmt. […]
Mirjam Keller
Es sei spannend gewesen, berührend, die Preisträger im Schreibprozess zu begleiten, erklärt Kanti-Prorektorin Pascale Chenevard-Bollinger. Deutschlehrer Hans Peter Niederhäuser spricht von der Schreibentwicklung, die immerzu auch Persönlichkeitsentwicklung sei. Und Niederhäusers Lehrerkollegin Sonja Lazaro zum Schluss der Lesung: «Es ist eine grosse Freude, diese Texte vor sich zu haben», urteilt sie über die schlicht gehaltene Publikation namens «Schreibraum 1», an der sich die Preisträger beteiligt haben.
KNOCK UP
[…] Gut, sie stritten sich um unwichtige Details wie wöchentliches Staubwischen im Regal, aber niemand bereute den Beschluss so richtig. Beide nahmen sich ihre Freiheiten heraus und wollten auch gar nichts weiter vom anderen wissen und auf dieser Basis waren sie eigentlich ganz zufrieden miteinander. […]
Paul Maetschke
Und es ist eine Freude, diesen jungen Menschen zuzuhören, ihre Texte zu lesen. Ihre Sprachen sind präziser geworden, ihre Bilder reifer. Es sind dieselben wie damals im April am «Junge Texte»-Festival. Aber sie experimentieren mit Inhalt und vor allem auch Form.
Ihre Titel begeistern, etwa: «Und fällt das Licht auf mich, so werfe ich zwei Schatten» von Miriam Hetzel. Letzte Sätze wie von Tatjana Sievers – Irgendwo hinter dem Nebel wischte Michi noch immer Laub, und unten im Thurtal ratterten die Wagen zur Zuckerfabrik – versöhnen einen mit der Welt. Es sind wunderbar feinsinnige Beobachtungen in hoher Poetizität entstanden, wie die von Nora Parolari. Oder auch kleine Satiren zur Religion, wie Simon Michel mit «Glaubenssache» eine geschrieben hat: «Beteiligt waren einige Krebse, ein halbes Dutzend Fischer und eine verdammt hohe Welle.»
Die Texte der 70seitigen Publikation sind allesamt in der Kartause Ittingen entstanden oder von Bildern inspiriert, welche die jungen Menschen an diesem Ort aufgenommen haben. Dieser thematische oder meta-thematische Fluchtpunkt generiert keineswegs literarische Uniformität, sondern gibt Halt, dass die jungen Menschen ein wenig erwachsener geworden sind, zumindest literarisch.
EINE HANDVOLL KIESELSTEINE
[…] Die Farben würden langsam immer fahler werden, bis irgendwann alles nur noch dunkel sei. Sie war da gesessen, in diesem weissen Raum, der plötzlich so kalt schien, wie sie sich selbst fühlte. Diese Kälte in ihr drin liess keine Gefühle zu, keine Gedanken. […]
Nora Parolari