Die Wessenberg-Galerie Konstanz zeigt Ernst Kreidolfs bekannte Schöpfungen, aber auch selten oder noch nie gezeigte Werke zum Thema Tier. Die Direktorin Barbara Stark hat eine enge Beziehung zum Künstler.
Mögen Sie Ernst Kreidolf?
Barbara Stark: Sehr, ich bin mit ihm aufgewachsen. Ich habe eine Schweizer Mutter, und sie hat seine Kinderbücher gewissermassen in die Ehe gebracht. Als ich nach Konstanz kam, war da Kreidolf an allen Ecken, auch in der Sammlung.
Wie sind Sie zum Verein Ernst Kreidolf gekommen?
Stark: 2002 plante ich eine Ausstellung: «Ernst Kreidolf und die Kunstgeschichte». Die Kunstgeschichte rümpft gern die Nase über Bilderbuchillustrationen – dabei ist es die schwerste Kunst, auch um Kinder zu erreichen.
Was wollten Sie untersuchen?
Stark: Wie Bilderbuchillustrationen mit dem sogenannten malerischen Werk bestimmter Künstler korrespondieren. Aber ich hatte kein Geld für einen Katalog und fragte den Kreidolf-Verein.
Wie hat er reagiert?
Stark: Überraschend positiv, und ich bekam genug Geld, um den Katalog zu finanzieren. Er war im Nu ausverkauft. Und sie dachten sich, eine Kunsthistorikerin wäre ein Gewinn für den Vorstand.
Haben Sie zugesagt?
Stark: Ja, seit 2004 bin ich im Vorstand des Erst-Kreidolf-Vereins.
Wie viele Werke Kreidolfs liegen in der Konstanzer Sammlung?
Stark: Mit den Grafiken um die sechzig. Das liegt auch daran, dass Kreidolf just in diesem Raum, in dem wir jetzt sitzen, seine Lehre zum Lithographen bei J. A. Pecht gemacht hat. Dessen Familie ist er ein Leben lang verbunden geblieben, hat ihr das eine oder andere Bild geschenkt.
Bern hat aber mehr Kreidolfs.
Stark: Hunderte. Ernst Kreidolf wurde 1863 in Bern geboren, seine Mutter kam aus Tägerwilen. Die Eltern beschlossen, in Konstanz ein Spielwarengeschäft zu eröffnen, und zogen hierher, als Ernst fünf Jahre alt war. Er sollte aber dereinst den grossväterlichen Bauernhof in Tägerwilen übernehmen, und sie schickten ihn da zur Schule.
Gefiel ihm das?
Stark: Mässig. Schon als Kind hat er alles gezeichnet, was kreucht und fleucht. Seine starke Verbindung zur Natur kam ihm später als Künstler zugute – er hatte gelernt, genau zu beobachten.
Wie ist ist er zur Kunst gekommen?
Stark: Die Eltern hatten kein Geld für eine Akademie; sein Vater hatte einen Bankrott mit dem Spielwarengeschäft hingelegt. Also machte Ernst eine Lehre, die dem Künstlerischen nahe stand. Vor dem Abschluss hatte er eine geniale Idee: eine Ansicht Tägerwilens auf eigene Kosten.
Ist sie angekommen?
Stark: Er ging von Haus zu Haus und verkaufte seine Lithographie. So konnte er den Sprung an die Kunstakademie in München wagen. Sein Studium verdiente er sich, indem er für Zeitungen Steckbriefe von Verbrechern zeichnete.
Kennen Sie noch eine Anekdote?
Stark: Im Krieg wollte er über die Grenze und wurde gefilzt. Sie fanden einen Zettel in seiner Tasche, da stand «Der Admiral und seine Flotte» drauf. Der Soldat witterte sofort Spionage, dabei hatte sich Kreidolf nur die Idee für eine Zeichnung notiert, und er musste sich erklären.
Für diese Schau haben Sie wieder mit Bern zusammengearbeitet?
Stark: Bereits zum dritten Mal. Jene über die Kinderbücher 2002 war nur in Konstanz zu sehen; «Ernst Kreidolf und seine Malerfreunde» 2006/07 habe ich initiiert, da mir die Kreidolf-Forschung zu wenig in die Tiefe gegangen war. Bern zog mit und zeigte die Schau zuerst.
Warum diese dritte Ausstellung?
Stark: Zum 150. Geburtstag Ernst Kreidolfs letztes Jahr wählten wir ein populäreres Thema, die Tiere, versuchten aber gleichwohl, das Ganze auf wissenschaftliche Füsse zu stellen. Der Katalog ist eine hübsche Mischung aus buntem Bilderbuch und inhaltlicher Substanz. Und die Ausstellung richtet sich beileibe nicht nur an Kinder, auch wenn wir die Bilder für sie ein wenig tiefer als sonst gehängt haben.
Was noch ist anders?
Stark: Einige Gemälde fehlen, die in Bern zu sehen waren, dafür zeigen wir mehr Grafiken. Wir haben eine Kinderecke mit allen Büchern eingerichtet und laden Schulen ein, das Vermittlungsangebot zu nutzen – auch jene in der Schweiz, denn jeder dritte unserer Besucher ist Schweizer.
Das ist viel.
Stark: Ja. Und es gibt Besucher, die sagen: «Sie machen Themen, die ich mir in der Schweiz wünschen würde.» Ich arbeite ja sehr sammlungsbezogen, weil ich keine Räume für Dauerausstellungen habe.
Wie viel gibt Ernst Kreidolf überhaupt her?
Stark: Die künstlerische Qualität ist nicht in allen Bereichen gleich gut. Unschlagbar ist Kreidolf in der Vermenschlichung, doch die Bilder aus seiner religiösen Phase sind nicht immer die besten. Wir planen mit dem Kunstmuseum Bern etwas zu Kreidolf und seinen Pflanzen. Auch «Ernst Kreidolf und seine Reisen» wäre ein schönes Thema, denn seine Landschaften überzeugen; und als Literat könnte er interessieren, denn die Texte zu seinen Bilderbüchern hat er selber verfasst.
Stimmt das Klischee Kreidolf gleich nette Kinderbücher?
Stark: Wir zeigen, dass er nicht wild drauflosphantasiert hat, dass stets ein wissenschaftliches Fundament da ist. Wenn er die Schmetterlinge in ihrem Frühlingstanz zeigt, lassen sich vierzehn existierende Arten ausmachen. Er lässt auch jedem Tier, jeder Pflanze genau jene Rolle zukommen, die sie ihrem Wesen nach haben. Leider ist Kreidolfs Bibliothek nicht erhalten geblieben – sie wäre für uns von unschätzbarem Wert.
Eine persönliche Frage: Weshalb leben Sie in der Schweiz?
Stark: Dank meiner Mutter habe ich die Doppelbürgerschaft. Als ich hierher kam, lebte ich zuerst auf der Reichenau, dann wurde sie Weltkulturerbe – und ich brauche Ruhe und hab's gerne ländlich. Ich war in einem Alter, in dem man sich überlegt, etwas ganz Neues zu wagen. Doch hier habe ich gestalterische Freiheit, und ich entschied mich für ein kleines Abenteuer – ein anderes Land. Es gefällt mir ausnehmend gut in Salenstein.