ALTNAU. In den Bäumen fühlt sich Roger Tanner wohl. In 16 Sekunden klettert der 35jährige Baumpfleger 15 Meter hoch. Vor kurzem hat der Altnauer zum zweitenmal an den Schweizer Meisterschaften im Baumklettern gewonnen.
Angst vor der Höhe kennt er nicht. Trotzdem bringt Baumpfleger Roger Tanner der Arbeit im Baum einen gesunden Respekt entgegen. Er trifft und misst sich darum auch gerne mit Kollegen aus der gleichen Branche – für ihn eine wertvolle Ergänzung. An den Schweizer Meisterschaften vor einer Woche in Genf war er mit von der Partie. Fünf Disziplinen galt es zu bewältigen: Verletzte aus einer Baumkrone bergen, mit einer speziellen Fussklemmtechnik 15 Meter am Seil in die Höhe klettern, fünf markierte Punkte erreichen (Arbeitsklettern), möglichst schnell an eine Glocke gelangen und Schnellklettern bis in die Spitze der Baumkrone.
Bewertet wurde nicht allein das Tempo, sondern auch Sicherheit und Technik. Zum Einsatz kam dafür ein System aus Sicherheitsgürtel, -Knoten und Doppelseiltechnik. Der 35-jährige Altnauer holte sich den Gesamtsieg und das nicht zum erstenmal. Tanner stand vor vier Jahren bereits einmal auf dem Siegerpodest und amtierte gleichzeitig als Vize-Europameister. «Das ist kein Sport», betont der selbständige Baumpfleger. «Sondern ein Beruf.» Ein Beruf mit durchaus sportlichen Anforderungen: Für eine Kletterpartie von 15 Metern seilaufwärts in die Baumwipfel braucht der amtierende Schweizer Meister gerade mal 16 Sekunden.
Am Wettkampf sind nebst hiesigen Berufsfachleuten auch ausländische Gäste gern gesehen. «Es ist eine Gelegenheit, um Entwicklungen auszutauschen», erklärt Tanner und präsentiert als Beispiel einen von Baumpflegern entwickelten Sicherheitsgürtel samt diversen Ösen, Karabinern und sonstigen Extras. Gürtel und Seile mit einer Zuglast von bis zu drei Tonnen sowie zehn Kettensägen in verschiedenen Grössen und Stärkekategorien zählen zur Ausrüstung. «Wir sind eine noch junge Berufsbranche», sagt er. Die Spezialisten fällen zum Beispiel Bäume stückweise in örtlich sehr anspruchsvollen Situationen. Sie kürzen Bäume, pflegen Kronen und gelangen dort zum Einsatz, wo herkömmliche Methoden an ihre Grenzen stossen. «Wir kommen überall hinauf», erklärt der Fachmann. Bäume mit einer Höhe von bis zu 75 Metern hat er bei seinem Neuseeland-Aufenthalt erklettert. «In der Schweiz ist etwa bei 40 Metern Schluss.»
Der Anfang aller Arbeit sieht einfach aus, ist es aber nicht: Tanner wirft ein 250-Gramm-Säckchen mit angehängtem Seil über einen Ast. Ein Manöver, das viel Übung verlangt. «Wir sind mit dieser Technik nicht durch Leitern oder ähnliche starre Systeme eingeschränkt», sagt er. Dass der Bedarf an Spezialisten auch in der Schweiz gross ist, zeigt sein weites Einzugsgebiet: Roger Tanner kommt von St. Gallen über Rorschach bis nach Schaffhausen in den Einsatz.
Seinen Beruf übt er bereits seit zwölf Jahren aus. Die Begeisterung für die Sache aber reicht noch viel weiter zurück: «Ich bin in Güttingen aufgewachsen. Schon damals bin ich gern auf jeden Baum geklettert», sagt er.
Heute ist die Arbeit in den Höhen der Baumwipfel für ihn zwar beruflicher Alltag, aber niemals alltäglich: «Wenn ich einige Tage nicht zum Klettern komme, fehlt mir etwas», sagt er. Seine Kletterkünste darf Tanner im nächsten Jahr in Toronto an der Weltmeisterschaft erneut unter Beweis stellen.