Wer in der Ostschweiz Thaiboxen betreibt, muss derzeit speziell hart im Nehmen sein. Der Fall «Carlos» bringt dem Sport Negativschlagzeilen. Trainer betonen aber: Thaiboxen kann Junge tatsächlich auf den rechten Weg bringen.
«...und dann zieht man einfach alles in den Dreck.» Besir Vejseli, Mitinhaber und Trainer des Kampfsportcenters St. Gallen, ärgert sich über die Gleichsetzung von Thaiboxen und Gewalt. Spätestens seitdem der jugendliche Gewalttäter «Carlos» für Aufregung sorgt, ist der Kampfsport in Verruf geraten. «Wir werden gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen <Carlos'> Taten und seinem Thaibox-Training gibt. Dabei hat er mit dem Sport erst später in der Therapie begonnen», sagt Vejseli.
Schon vor Jahren war Thaiboxen einmal in der Imagekrise. Verantwortlich dafür: Ex-Weltmeister Bashkim Berisha, der 2005 in Dübendorf im Streit um einen Parkplatz einen Mann erschoss. Geschadet hat dem Sport zuletzt auch die gewaltsame Abrechnung rivalisierender Clans im Basler Lokal, wo «Carlos» trainierte. Solche Vorfälle bestätigen viele in der Meinung, alle Thaiboxer seien gewaltbereit. Besir Vejseli: «Im Thaiboxen werden Schläge trainiert – ein Thaiboxer weiss, wie er jemanden verletzen kann.» Wohl deshalb würden die Sportler als potenzielle Schläger angeschaut. «Dies, obwohl wir unsere Jungen darauf aufmerksam machen, dass alles nur im Ring passieren darf, und wir auch dort darauf achten, dass es so wenige Verletzungen wie möglich gibt.»
Gianfranco Manzan, Leiter und Trainer vom Arena Thai Gym in Rorschach, befürchtet, dass der Fall «Carlos» negative Folgen für die Thaibox-Szene haben wird – «beispielsweise wenn wir für Wettkämpfe nach Sponsoren suchen müssen». Was entgegnet er jenen, die sagen, mit Thaibox-Training werde ein Gewalttäter wie «Carlos» noch gefährlicher? «Meine Erfahrungen zeigen eher das Gegenteil. Mit Sport, auch Thaiboxen, kann man Junge von der Strasse wegholen – sie werden selbstbewusster, haben Schlägereien nicht mehr nötig.» Manzan erinnert sich an einen Jugendlichen, der Probleme mit der Polizei hatte. «Durch Thaiboxen besserte sich die Situation – bis er aus unklaren Gründen Suizid beging. Das zeigt, dass die Probleme Jugendlicher vielschichtig sind und es sich um lange Prozesse handelt.»
Auch Besir Vejseli vom Kampfsportcenter St. Gallen ist überzeugt: Thaiboxen kann Jungen helfen, Energien loszuwerden. Verurteilte Gewalttäter würde er aber nur auf Bitte der Justiz trainieren. «Wichtig ist es, solche Leute genau zu beobachten und mit einem Psychologen zusammenzuarbeiten.» Er bekennt, dass es nie auszuschliessen sei, dass jemand das Gelernte auch auf der Strasse anwende. «Meiner Meinung nach hat aber jeder eine zweite Chance verdient – allerdings nur diese», sagt Vejseli, der «Carlos» von Besuchen im Basler Center kennt und ihn dort als anständig erlebt hat.
In Wolfgang Eberles Trainingscenter Topgym in Amriswil war der Fall «Carlos» intern ein Thema. Speziell «Carlos'» bezahlte Stippvisite in einem holländischen Thaibox-Center sei sauer aufgestossen. «Viele Mitglieder trainieren hart und müssen sparen, um sich etwas leisten zu können», sagt er. Dass Eberle kaum Kritik am Thaibox-Sport generell hört, führt er auf die überschaubaren Verhältnisse in Amriswil zurück: «Die Leute wissen, was wir machen.»
Ist es angemessen, einen verurteilten Gewalttäter Thaiboxen trainieren zu lassen? Eberle hält fest: Thaibox-Training kann für verhaltensauffällige Jugendliche sinnvoll sein. Er arbeitet immer wieder mit Kindern im Primarschulalter, die etwa hyperaktiv sind. «Wir haben dabei Erfolg: Die Kinder werden ruhiger und disziplinierter – sie können ihre Energien besser kontrollieren.» Eberle macht allerdings eine Einschränkung: Ein Gewalttäter wie «Carlos» müsse zuerst bestraft werden und an seinem Wesen arbeiten, bevor er allenfalls Thaiboxen solle. «Denn wenn jemand mit einem Messer auf jemanden losgegangen ist, ist eine klare Grenze überschritten worden.»