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Früher war das «Einstein» eine gute Adresse zum Übernachten, aber kulinarisch Mittelmass. Mit Sebastian Zier und Moses Ceylan hat sich das geändert. Sie haben jetzt sogar einen zweiten Michelin-Stern.
Sebastian Zier kochte glücklich auf Sylt, als er ein Angebot aus St.Gallen bekam. Das Hotel Einstein wollte ihn gewinnen für sein kulinarisch seit langem darbendes Restaurant. Zier kommt aus dem Schwarzwald, er wollte wieder in den Süden, also schaute er sich die Sache an. Sagte zuerst Nein. Und dann doch ja. «Ich spürte, dass die Bereitschaft da war, vieles zu verändern – und dafür auch zu investieren.» Das war nötig – und ist der entscheidende Punkt für ihn. Im April 2015 ging es los. Rasch zeigte sich, dass Zier und sein Partner Moses Ceylan gut unterwegs sind. Ein erster Michelin-Stern traf ein, vor wenigen Monaten der zweite. Jetzt wollen sie «noch weiter beschleunigen», sagt Autoliebhaber Zier.
Gefunden haben sich die beiden Köche durch «Väterchen Zufall», erzählt Sebastian Zier. Er hatte eine Stelle zu besetzen, und Moses Ceylan hatte gerade aufgehört bei einem Drei-Sterne-Koch. «Ein Mitarbeiter meinte, Moses könnte doch bei uns aushelfen. Ich wusste sofort: Das geht auf die Länge nicht. Denn mir war klar, dass ich ihn nicht als untergeordnete Fachkraft einstellen kann.» Zwei Monate haben sie es zusammen probiert, «und es war so wunderbar entspannt. Wir denken ganz ähnlich». Auch – der vielleicht: gerade weil – sie aus verschiedenen kulinarischen Ecken kommen. Ceylan bringt in ihre kreativen Tüfteleien die arabische, türkische und libanesische Küche ein.
Also hat Zier bei den Einstein-Chefs nachgefragt, ob eine Doppelspitze denkbar wäre. Die haben Ja gesagt. Ist da nicht einer zu viel, haben Journalisten geschrieben. Wie soll das funktionieren, haben Kollegen gefragt – auf 20 Quadratmetern zu zweit? Dabei ist das, was die beiden verwirklichen, «eine sehr zeitgemässe Idee», betont Moses Ceylan, der aus dem Allgäu stammt. «Es gibt heute überall diese flachen Hierarchien. Warum also soll in der Küche immer alles auf eine einzige Spitze zulaufen?»
Ohnehin hat die Gastronomie ein Problem. Sie steht im Ruf, ihr Personal hemmungslos auszubeuten und auf Befehl zu trimmen. «Doch was in unserer Ausbildung noch funktioniert hat mit Arbeitstagen von 18 oder 20 Stunden, das geht heute nicht mehr», unterstreicht Ceylan. «In unserer Küche legen wir Wert auf geregelte Arbeitszeiten, und darauf, dass unsere Mitarbeiter einander unterstützen.» Das ist es zuletzt, was Zier und Ceylan neben dem Kulinarischen gereizt hat: dass sie den Geist eines Hauses mitprägen können. Denn ihr Reich umfasst nicht nur ihr eigenes, an fünf Tagen in der Woche abends geöffnetes Restaurant mit 25 bis 30 Plätzen (plus einem Saal für bis zu 50 Gästen) in der obersten Etage des Hotels. Sondern auch die grosse Kongressküche und das Bistro gegenüber dem Hotel. Dort sind jetzt von ihnen ausgebildete Köche am Werk.
Zwei Michelin-Sterne, 17 Gault Millau-Punkte: Ist das nicht eine Last? «Nein, ein Ansporn», sagen Sebastian Zier und Moses Ceylan. Sobald wir übers Kochen reden, sind die beiden kreativen Kraftwerke kaum noch zu bremsen. Immerzu tüfteln sie an neuen Rezepten, probieren aus, verwerfen und verändern. Bis es für sie stimmt. Was Moses Ceylan besonders fasziniert: «Du lernst nie aus, du bleibst nie stehen, du arbeitest mit den besten Produkten. Jedes Gericht hat seine eigene Geschichte und Identität.»
«Moses hat ein Faible fürs Optische und ein Mordshändchen fürs Anrichten», sagt Sebastian Zier, der für Fleisch und Fisch zuständig ist. «Wenn es dann auch noch so schmeckt, wie’s aussieht, dann bin ich der glücklichste Mensch.» Oft sind es ziemlich aufwendige Kreationen, mit denen sie ihre Gäste überraschen. «Gäste, die weltweit essen gehen, sagen oft: So viel Handwerk wie bei euch ist selten auf dem Teller», erzählt Ceylan.
Handwerk, das bedeutet: die Tage der beiden sind lang. Wenn das Restaurant um 18 Uhr öffnet, haben sie schon sechs Stunden gearbeitet. «Wir sind hoch konzentriert, haben aber viel Spass», sagt Ceylan. «Wir gehen immer wieder selber raus, bringen Saucen oder erklären, was wir gemacht haben», fügt Sebastian Zier an.
«Erlebnisgastronomie» nennen sie, was sie verwirklichen wollen: ein Fest für alle Sinne, bei dem es locker zugeht. Die Gäste spüren: Das «Einstein» hat Fahrt aufgenommen, der kulinarische Dornröschenschlaf ist zu Ende.