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Die 123-jährige Uhr der Kirche Linsebühl ist saniert. Neu läuft sie mechanisch, aber mit elektrischer Unterstützung.
Es ist kurz vor elf Uhr. Zahnräder rattern, das Pendel schwingt und der Sekundenzeiger tickt. Auf den Schlag genau läutet die Glocke zur vollen Stunde. Ein Blick auf das massive, knapp 400 Kilogramm schwere Uhrwerk gleicht einer Reise in die Vergangenheit. Die Uhr der reformierten Kirche Linsebühl läuft mechanisch, wie im Jahr 1896, als sie gebaut wurde. Dies überrascht deshalb, weil sie die vergangenen 30 Jahren elektrisch betrieben wurde.
Der Entscheid, die gut erhaltene historische Turmuhr in der Linsebühlkirche wieder in Betrieb zu nehmen, ist im Frühjahr dieses Jahres gefallen. «Der Entscheid war ein leichter, weil eine mechanische Uhr im Vergleich zu ihren elektrischen Pendants eine viel längere Lebensdauer hat», sagt Projektleiter Christian Thesen. Das restaurierte Uhrwerk halte mindestens für die kommenden 100 bis 200 Jahre. Zudem sei die Uhr ein Schweizer Kulturgut. «So ist es beispielsweise extrem selten, dass eine Turmuhr über einen Sekundenzeiger verfügt.»
Ganz ohne elektrische Unterstützung funktioniert aber auch die Turmuhr im Linsebühl-Quartier nicht. «Zwar läuft sie auch ohne elektronische Hilfe einwandfrei weiter», sagt Christian Thesen. Doch einige technologische Kniffs würden dann nicht mehr funktionieren. So laufe beispielsweise die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit automatisch.
Sprich: Um 22 Uhr läutet die Glocke zum letzten Mal. Während der Nacht bleibt sie ruhig. Um 6.15 Uhr erklingen dann wieder die ersten Glockenklänge. «Die Glocke der Linsebühlkirche bleibt schon seit über 20 Jahre still in der Nacht», sagt Diakon Daniel Bertoldo. Hier verzichtete man darauf, die Glocke, wie bei der Kirche St. Laurenzen, leiser läuten zu lassen.
Bis die Turmuhr wieder auf die Sekunde genau tickte, stand für Projektleiter Christian Thesen viel Arbeit an. «Wir mussten sie zuerst in alle Einzelteile zerlegen», sagt Thesen. Jedes einzelne Zahnrad und jede Verstrebung habe saniert werden müssen. Die Einzelteile der Uhr wurden dann Ende Juni zu einer Glockengiesserei nach Suhr transportiert, namentlich zur Firma Rüetschi AG. «Sie ist das Nachfolgeunternehmen der Turmuhrfabrik Mäder, in derer Werkstatt die Uhr im Jahr 1896 geschaffen wurde», sagt Verena Graf, Projektleiterin Sport und Kulturbauten der Stadt St. Gallen. Dort hätten Spezialisten die Uhr aufwendig gereinigt und restauriert, wieder zusammengesetzt, auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft und für den Transport wieder auseinandergebaut. Vor Ort musste das Uhrwerk, Zahnrad für Zahnrad, erneut haargenau zusammengebaut werden.
Dass sich die Turmuhr im Eigentum der Stadt St. Gallen befindet, ist ein historisches Vermächtnis. Dieses geht auf die Zeit zurück, in der die Gemeinden für die Zeitanzeige verantwortlich gewesen waren und noch nicht alle eine eigene Uhr besassen. «Weil sie jetzt wieder funktionstüchtig ist und in Betrieb genommen wurde, ist ihr Verbleib in der Kirche Linsebühl gesichert», sagt Verena Graf.
Die Kosten für die gesamte Restaurierung der Turmuhr inklusive Abbau und Montage belaufen sich auf rund 60000 Franken. «Die kantonale Denkmalpflege hat einen Beitrag an die Restaurierungskosten in Aussicht gestellt», sagt Graf. Für die Öffentlichkeit ist der Zugang zum Uhrwerk gesperrt. Am 9. November, 14 bis 17 Uhr, gewährt die reformierte Kirchgemeinde am Tag des offenen Kirchturms aber einen Einblick.