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Ostschweiz
St.Gallen, Gossau, Rorschach
In Grossstädten eine Wohnung zu suchen ist kein Zuckerschlecken. Legendär schwierig ist das sogar in der Region Zürich. Dass die Stadt St.Gallen dieses Problem nicht hat, ist zwar für Mieterinnen und Mieter ein Vorteil. Makler und Hauseigentümer reagieren auf ihre ganz eigene Art auf das grosse Wohnungsangebot.
Der Stadt spazieren die Städter davon. Allein in diesem Jahr fiel die Tür hinter 6753 abtrünnigen St.Gallerinnen und St.Gallern ins Schloss. Die Politik reut’s, die Mieter freut’s. In keiner grossen Schweizer Stadt ist die Wohnungssuche einfacher, die Auswahl grösser. Zwei von 100 Wohnungen stehen leer.
Die jungen Ungebundenen zieht’s in Richtung Zürich, die jungen Gebundenen aufs Land – mit den Sprösslingen ins Grüne. Zurück bleiben die Singles. Jede zweite Wohnung wird in der Stadt von einer Einzelperson bewohnt. Kein Wunder, werden sie im hart umkämpften Wohnungsmarkt besonders hartnäckig umgarnt.
Und so wähnt sich, wer Homegate, Newhome, Cosyhome und Co. besucht, zuweilen bei Parship, Elitepartner oder anderen Kuppeldiensten. Da sucht die gut ausgestattete Singlewohnung den gut situierten Single; das Liebhaber-Objekt mit (Jugend-)Stil will ein passendes Pendant und ein besonders hübsches Modell ist auch für Haustierfreunde oder Hobbygärtner zu haben.
Um ihre Wohnungen an den Mieter zu bringen, legen sich die Vermieter ins Zeug. «Einzigartigkeit trifft auf Vollkommenheit», heisst es etwa. Einzigartig ist überhaupt die Mehrheit der Wohnungen, glaubt man den rund 1600 St.Galler Inseraten auf comparis.ch. Oder: «Hier erhält das Wort ‹einzigartig› eine völlig neue Bedeutung.» Worthülsen mit neuem Sinn zu füllen, darin sind Immobilienmakler ohnehin die Meister schlechthin.
Im inoffiziellen Wohnungsmarkt-Wörterbuch steht schmuck als Synonym für klein. Heimelig heisst meist alt. Einfach meint schäbig und gemütlich dunkel. Auch komfortabel (teuer), exklusiv (noch teurer) oder repräsentativ (unbezahlbar!) versteht nur der Eingeweihte richtig. Hinter dem Zusatz «mit Flair» verbirgt sich eine ausgefallene Farbwahl oder ein anderes Experiment des übereifrigen Vormieters, der leider oft ohne wirkliches Flair für Inneneinrichtung war.
Glaubt man den Inseraten, liegen die einzigartigen, gutunterteilten und sonnendurchfluteten Wohnungen allesamt zentral. Wer braucht schon den Marktplatz, die Altstadt, das Klosterviertel, wenn sich das Zentrum von Ost nach West, von St.Fiden bis Winkeln erstreckt? Wo der FC St.Gallen einst tschuttete und wo er heute tschuttet, dort pocht doch das Herz der Gallusstadt.
Bei diesem Grössenwahnsinn kann der Mieter froh sein, wird die Wohnungsgrösse in Quadratmetern angegeben. Immerhin eine international normierte Masseinheit. Doch Obacht! Besonders kreative Vermieter rechnen kurzerhand den Balkon oder den muffigen Keller zur Wohnfläche dazu.
St.Gallen sei zu bescheiden, heisst es oft. Spitzenreiter einzig in fragwürdigen Ranglisten, wie der Leerwohnungsziffer oder der Abwanderung. Den Politikern aus dem braven Osten falle es schwer, sich im Haifischbecken der Hauptstadt Gehör zu verschaffen. Vielleicht müssen sie sich einfach ein Beispiel an den hiesigen Immobilienhaien nehmen. An den Schönrednern, Sinnverdrehern und Hochstaplern mit ihrem Flair für Wortspiele. Sie beweisen, dass die Stadt St.Gallen zwischen Rosenberg und Riethüsli absolut kein Tal der Demut ist.