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Ein Einfamilienhaus, eine Eigentumswohnung und eine Lagerhalle werden dieses Jahr vom Wittenbacher Betreibungsamt versteigert. Dessen Leiterin vermutet hinter der Häufung einen Zufall.
Wenn ein Inserat im Mitteilungsblatt die Überschrift «Betreibungsamtliche Grundstücksteigerung» trägt, bleiben viele Augen daran hängen. In Wittenbach waren diese Worte innerhalb eines Vierteljahres gleich dreimal im «Puls» zu lesen. Bereits versteigert wurde ein Einfamilienhaus, im Dezember sollen eine Lagerhalle und eine Eigentumswohnung folgen.
«Das kann sich aber jederzeit ändern», sagt Rebecca Gabriele, die Leiterin des Wittenbacher Betreibungsamts. Dann nämlich, wenn die Schuldnerin oder der Schuldner die Ausstände begleicht und die Liegenschaft auslöst.
Drei Grundstücksteigerungen innerhalb eines Vierteljahres sind in Wittenbach ungewöhnlich. In den beiden Vorjahren mussten überhaupt keine Grundstücke «verwertet» werden, wie es im Fachjargon heisst.
Weil sie aufgrund dieser tiefen Fallzahlen auch keine verlässlichen Erfahrungswerte habe, könne sie als Leiterin des Betreibungsamts Wittenbach auch keine Aussagen über das Betreibungswesen insgesamt oder gar über die wirtschaftliche Entwicklung machen, stellt Gabriele klar.
Die jetzige Häufung hat jedenfalls nur am Rande mit der Coronakrise zu tun: Im Zuge der Pandemie hat das Bundesamt für Justiz als Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs empfohlen, mit Grundstücksteigerungen zuzuwarten – Hausbesichtigungen und öffentliche Versteigerungen sollten erst einmal aufgeschoben werden.
So fand die erste der drei Versteigerungen in Wittenbach, jene des Einfamilienhauses, im September statt. Um die 15 Personen seien zur Besichtigung gekommen, knapp 20 an die Versteigerung im Werkhof, sagt Gabriele. Zur Besichtigung der Lagerhalle tauchten hingegen rund 100 Personen auf.
Der vom Bundesrat verhängte Rechtsstillstand oder «Betreibungsstopp» trug hingegen wenig zur Häufung bei, sagt Gabriele. «Der Rechtsstillstand dauerte ja nur kurz», vom 19. März bis zum 5. April. Danach folgten bis am 19. April die ordentlichen Betreibungsferien. Sie sollen Schuldnerinnen und Schuldner über die Oster- und Weihnachtsfeiertage sowie im Hochsommer vor unliebsamen Überraschungen schützen.
Die Betreibungsämter konnten während des Rechtsstillstands normal weiterarbeiten. Nur zustellen durften sie die Betreibungen noch nicht.
Die Häufung von Grundstücksteigerungen führt Rebecca Gabriele auf einen Zufall zurück und nicht auf wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise:
«Ob mehr Leute wegen Corona in finanzielle Nöte kommen, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.»
Gerade wer jetzt schon von der Coronakrise getroffen werde, sei ja beispielsweise über die Arbeitslosenversicherung zumindest für eine Übergangsphase abgesichert.
«Bei uns landen vielfach Leute, die sich bei einem Engpass zu spät Hilfe bei den Ämtern suchen und zum Beispiel die Krankenkassenprämie oder die Miete nicht mehr bezahlen können.»
Verwertet werden gepfändete Güter erst, wenn es ein Gläubiger verlangt und bereit ist, einen Vorschuss auf den Aufwand zu bezahlen. Seit das Gantamt in der Stadt St. Gallen 2014 geschlossen wurde, werden bewegliche Güter in der Regel im Raum Zürich versteigert. Es sei denn, es geht um eine grosse Menge, für die sich eine eigene Versteigerung in Wittenbach lohnt.
Bei einer Versteigerung wird jeweils ein Mindestpreis festgelegt. Er muss die Forderungen der Gläubiger decken, die Vorrang haben gegenüber demjenigen, der die Verwertung verlangt. Beim im September versteigerten Einfamilienhaus lag der Mindestpreis bei knapp 1,3 Millionen Franken.
Als Anhaltspunkt für die Bieterinnen und Bieter wird zudem ein Schätzwert veröffentlicht. «Der effektive Preis hängt aber vom Kreis der Interessenten ab», sagt Gabriele. So lag die betreibungsamtliche Schätzung für das versteigerte Haus bei 1,67 Millionen Franken. Am Ende war aber niemand bereit, so viel zu bieten, das Haus wechselte den Eigentümer unter dem Schätzwert.
«Paradoxerweise sind unsere generellen Betreibungszahlen im Geschäftsjahr 2020 tiefer als im Vorjahr», sagt Bogdan Todic, Leiter des Betreibungsamts der Stadt St. Gallen. Per Ende Oktober um etwa zehn Prozent. Dieser Trend sei landesweit festzustellen. «Während des Lockdowns im Frühling waren viele Gläubiger sehr zurückhaltend und haben auf Betreibungen verzichtet», sagt Todic. Oder sie hätten sich bei der Gestaltung der Rückzahlung grosszügig gezeigt. Zudem hätten Betroffene durch die Hilfskredite und Kurzarbeitsentschädigungen zumindest momentan genügend flüssige Mittel. Seit Mai seien die Fallzahlen aber wieder mit dem Vorjahr vergleichbar.
Betreibungsamtliche Grundstücksteigerungen seien auch in der Stadt selten und kommen ein- bis zweimal pro Jahr vor, sagt Todic. Das tiefe Zinsniveau reduziere für Liegenschaftsbesitzer auch das Risiko, sich zu verschulden. Ausserdem seien Eigenheime und Renditeobjekte in der Stadt gefragt und liessen sich auf dem Markt zu «sehr guten Preisen» verkaufen – damit werde eine betreibungsamtliche Versteigerung vermieden. (jw)