Schwänerich ist vielleicht eine Frau

Nachdem ihr Mann vor zwei Jahren an einem Schlaganfall starb, erhielt die Trauerschwan-Dame im Stadtweier einen neuen Partner. Bei diesem handelt es sich nun möglicherweise um ein Weibchen. Anlass zum Zweifel gaben drei Eier.

Ursula Ammann
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Die beiden Trauerschwäne im Stadtweier begaben sich abwechslungsweise zum Brüten ins Häuschen. (Bilder: Ursula Ammann)

Die beiden Trauerschwäne im Stadtweier begaben sich abwechslungsweise zum Brüten ins Häuschen. (Bilder: Ursula Ammann)

WIL. Das Telefon klingelte bei Weierwart Ernst Weibel in diesem Frühjahr öfters. Im Ententeich am Stadtweier sei nur noch ein Trauerschwan auf dem Wasser zu sehen statt zwei wie sonst, berichteten besorgte Bürgerinnen und Bürger. Ernst Weibel zückte seinen Feldstecher, um vom Ufer aus einen Blick ins Schwanenhaus zu werfen. «Es hätte sein können, dass einer der Schwäne darin verstorben ist», sagt der Weierwart. Er habe aber nichts erkennen können. Wie sich etwas später herausstellte, begaben sich die Schwäne abwechslungsweise ins Häuschen, so dass dieses ständig besetzt war. Das liess die Vermutung aufkommen, dass sie etwas ausbrüten. Als sich eines Tages eine Ente unter einer Holzkonstruktion verfing und befreit werden musste, ergab sich die Gelegenheit, vom Boot aus auch das Schwanenhaus genauer unter die Lupe zu nehmen. Darin lagen drei Eier. Nur geschlüpft war nichts. «Die Brutzeit dauert normalerweise 42 Tage», erklärt Ernst Weibel. Die Schwäne sind aber mindestens zwei Monate auf den Eiern gesessen.

Einfangen bedeutet Stress

Die Eier stellten den Weierwart vor ein Rätsel, auf das er bis heute noch keine abschliessende Antwort weiss. Die Trauerschwanfrau ist schon mehrfach Mutter geworden, seit wenigen Jahren legt sie aber keine Eier mehr. Sie sei eigentlich zu alt dafür, sagt Weibel. Eine Geburtsurkunde gibt es zwar nicht, die Schwänin dürfte aber schon etwa drei Jahrzehnte auf dem gefiederten Buckel haben. Aber von wem – wenn nicht von ihr – stammen die Eier? Zumal die Herren der Wasservogelschöpfung keine Eier legen, gibt es für Ernst Weibel folgende Erklärung: «Möglicherweise ist das Männchen, das wir vor zwei Jahren geholt haben, doch ein Weibchen», sagt er. Das Tier habe sich nämlich damals bei der Geschlechterbestimmung etwas gesperrt. Es bestehe aber nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim «Neuen» um einen Mann handle und die ältere Dame die Eier gelegt habe, hält Ernst Weibel fest. «Vielleicht hat sie einfach nicht aufgenommen und es sind deshalb keine Küken geschlüpft.»

Trotz Unsicherheiten sieht der Weierwart derzeit keinen Anlass, den neuen Schwan einzufangen und dessen Geschlecht zu bestimmen. «Das würde die Tiere nur unnötig stressen», sagt er.

Aus der Apathie erwacht

Ob Männchen und Weibchen oder Weibchen und Weibchen: Die beiden Trauerschwäne im Stadtweier verstehen sich gut, wie Ernst Weibel betont. «Sie haben sich auf Anhieb akzeptiert.» Das sei nicht selbstverständlich, sagt er. «Es hätte auch in die Hosen gehen können.»

Vor zwei Jahren verlor die im Stadtweier angestammte Schwanendame ihren Partner. Dieser hatte eine Art Schlaganfall erlitten und geriet dadurch in Schieflage. Hätte man ihn nicht aus dem Wasser geholt, wäre er ertrunken. Ernst Weibel nahm das Tier nach Hause, besorgte ein Bassin und eine Voliere. Doch «Bobeli» – so nannte er den Schwanmann – erholte sich nicht und verstarb. Die Trauerschwänin trauerte, was sich in ihrem Verhalten ausdrückte. Sie schwamm apathisch im Teich herum, ging dem Weierwart aus dem Weg. Schwäne sind monogame Tiere und bleiben sich oft bis ans Lebensende treu. Schwäne sind jedoch keine Einzelgänger und so musste ein neuer Mann her. Nach einer intensiven Suche wurde Ernst Weibel im Appenzellerland fündig.

Vor knapp zwei Jahren zog der neue Schwan im Stadtweier ein. Die Stimmung der verwitweten Schwanfrau verbesserte sich merklich. «Jetzt kommt sie wieder angeschwommen, wenn sie mich sieht und ruft mir auch schon von weitem zu», erzählt Ernst Weibel. Und der neue «Bobeli» – oder eben die «Bobeline» – zieht mit.

Ernst Weibel Weierwart Wiler Stadtweier (Bild: unknown)

Ernst Weibel Weierwart Wiler Stadtweier (Bild: unknown)