Fingerabdrücke von Vätern und Kindern

An der Sonntagsmatinee auf der Wochenbettstation im Spital Wil spielten Väter und Grossväter die Hauptrolle. Die vorgetragenen Geschichten zeigten Gucklöcher in Beziehungs- und Lebensgeschichten. Dabei wurde deutlich, dass vornehmlich die kleinen Geschichten im Gedächtnis haften bleiben.

Ruth Bossert
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Anna Schindler und Matthias Flückiger entführten das Publikum an vergessene Orte und sorgten für Erinnerungen an die Kindheit. (Bild: Ruth Bossert)

Anna Schindler und Matthias Flückiger entführten das Publikum an vergessene Orte und sorgten für Erinnerungen an die Kindheit. (Bild: Ruth Bossert)

WIL. Der Rahmen für die Sonntagsmatinee war aussergewöhnlich. Rund zwei Dutzend Stühle auf dem Gang in der Wochenbettstation der Stadt Wil, ein kleiner Tisch, zwei Schauspieler, ein Akkordeonist, eine Cellistin. Die Besucher waren bunt gemischt, Frauen und Männer jeglichen Alters, Kinder und gar ein Säugling zugegen. Wie auf einer Wochenbettstation üblich, gehörte das Kommen und Gehen dazu. Wem es gelang, mit seinem Blick ein Neugeborenes zu erhaschen, verpasste vielleicht den glücklichen Anblick eines Vaters oder einer Mutter. Doch jeder fühlte sich in der Atmosphäre wohl, dort, wo Männer und Frauen zu Vätern und Müttern werden: Auf der Geburtsabteilung, wo erst vor ein paar Stunden das 297. Kind in diesem Jahr auf die Welt gekommen ist.

Geschichten gesammelt

Die beiden Schauspieler Anna Schindler und Matthias Flückiger führten abwechselnd die Besucher zu den Drehorten der Geschichten. Die Episoden zwischen Söhnen, Töchtern und ihren Vätern oder Grossvätern berührten jeden Einzelnen, liessen die eigenen Gedanken zurückgehen in die eigene Jugend, zum eigenen Vater. Rasch bemerkte man, dass sich die fremden Vätergeschichten oft in den eigenen spiegeln. Mark Ricklin, der zum Beispiel auf der Oberen Bahnhofstrasse in Wil die Vätergeschichten gesucht und aufgeschrieben hat, ist überzeugt, dass Vätergeschichten den Töchtern und Söhnen helfen, den eigenen Vater neu zu entdecken und wertzuschätzen.

Der Duft vom Paraffin

Geschichten über Väterlichkeit und Vatersein haben etwas Privates, gar Intimes. Der Zuhörer merkte, dass es nicht die grossen, lauten Erlebnisse sind, die es ausmachen, vielmehr sind es die feinen, unspektakulären Kleinigkeiten, die den Nachkommen in Erinnerung bleiben.

So ist es beim jungen Sohn nur der eine Satz seines Vaters, der ihn ein Leben lang begleitet: «Jetzt bist du für dein Leben selber verantwortlich. Wenn du bei Entscheidungen unsicher bist, kannst du dich ja fragen, was ich dazu sagen würde. Was du machst, ist dann deine Sache.» Oder bei einer anderen Geschichte ist es der Duft von Paraffin, Toko 5 und Toko 3 und ein kleines Stückchen Toko silber in einem Stoffresten. Für diesen Sohn, der sich erinnert, wie der Vater ihm die Skier wachste, heisst die Erinnerung seiner Kindheit schlicht «Fürsorge».