Wie Gemeinden mit Schulden Geld verdienen - und wieso sie das nicht ausreizen

Nehmen Gemeinden wie Waldkirch heute Kredite auf, kassieren sie wahrscheinlich Geld vom Gläubiger. Als Geschäftsmodell taugt das aber nicht.

Johannes Wey
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Der Zeitpunkt für Investitionen ist für die Gemeinden günstig. Bild: Ennio Leanza/Keystone

Der Zeitpunkt für Investitionen ist für die Gemeinden günstig. Bild: Ennio Leanza/Keystone

In einer Woche entscheiden die Waldkircherinnen und Waldkircher, ob sie sich für gut drei Millionen Franken einen neuen Sportplatz leisten wollen. Der Zeitpunkt für eine solche Investition wäre günstig: Seit die Nationalbank Negativzinsen verhängt hat, suchen Banken und Anleger händeringend nach vertrauenswürdigen Kreditnehmern. «Es herrscht ein scharfer Wettbewerb zwischen institutionellen Anlegern und den Banken um die Schulden von Gemeinden, Städten und Kantonen», sagte etwa Christoph Lengwiler von der Hochschule Luzern gegenüber der «Handelszeitung».

Auch Waldkirch hat davon schon profitiert: Vergangenes Jahr habe die Gemeinde ein Darlehen aufgenommen und dafür einen Zins von 0,25 Prozent erhalten, sagte Gemeindepräsident Aurelio Zaccari an einer Informationsveranstaltung zur Sportplatzabstimmung. Heute würde die Rendite sogar noch höher liegen, sagte Zaccari.

Die Schulden müssen trotzdem bezahlt werden

Rosige Zeiten also für die Gemeinden, von denen in der Region viele in den vergangenen Jahren die Verschuldung abgebaut haben: Kredite aufnehmen und damit Geld verdienen, klingt verlockend.

In der Stadt Gossau ist die Entwicklung der Finanzen ein Dauerthema. Wegen der Entwicklung des Cashflows geht die Finanzplanung davon aus, dass ab 2020 bereits die Erfolgsrechnung über Kredite finanziert werden muss. Die tiefe Zinsbelastung ist einer von wenigen Lichtblicken, die im integrierten Aufgaben- und Finanzplan genannt werden.

Bernhard Keller, Geschäftsführer der Vereinigung der St.Galler Gemeindepräsidenten (VSGP), kennt diese komfortable Lage. Die Negativzinsen seien ein grosses Thema bei der Kapitalbeschaffung der Gemeinden. Obwohl sich die Entwicklung lange abgezeichnet habe, finde er es doch erstaunlich, dass eine Gemeinde bei einer Kreditaufnahme nun tatsächlich Geld bekomme, sagt Keller.

«Je kurzfristiger das Darlehen, umso mehr Geld erhält die Gemeinde.»

Dementsprechend sei der Zeitpunkt für Investitionen derzeit sicher günstig. Allerdings fielen die Abschreiber nach einer Investition wesentlich stärker ins Gewicht als die Zinsen. «Ich glaube deshalb nicht an eine Investitionswut.»

Doch, wieso ziehen Gemeinden nun nicht Investitionen vor, die in ein paar Jahren ohnehin auf sie zukommen? «Die Versuchung ist natürlich da», sagt Christian Keuschnigg, der an der Universität St.Gallen den Lehrstuhl für öffentliche Finanzen innehat. Und je nachdem mache das auch Sinn. Dann nämlich, wenn die Investition einen langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen bringe.

Ausgaben nur um der Negativzinsen willen, seien hingegen eine schlechte Idee. «Die Zinsen klingen sehr verlockend. Aber mit der Aufnahme von Krediten ist immer auch das Versprechen einer Rückzahlung verbunden.» Ausserdem könnten die Zinsen auch bald wieder steigen.

«Eine hohe Verschuldung würde dann die Budgets der Gemeinden förmlich explodieren lassen.»

Finanzkrisen würden immer dann entstehen, wenn zuvor hohe Schulden aufgenommen worden seien, sagt Keuschnigg. Primär sollten sich Gemeinden also an ihrem langfristigen Investitionsbedarf und nicht den aktuellen Zinsen orientieren.

Obligationen geben nur die Grossen aus

Gemäss «Handelszeitung» spielen angesichts des derzeitigen Zinsumfelds grössere Städte wie Bern mit dem Gedanken, auch langfristige Obligationen zu einem tiefen Zins auszugeben – so wie der Kanton Genf mit seiner 40-jährigen Anleihe zu null Prozent Zinsen.

Für kleinere Gemeinden ist das gemäss Keuschnigg allerdings keine Option: Wer nicht gross genug ist, sei nicht kapitalmarktfähig und solle sich besser von Banken beraten und finanzieren lassen.

Allerdings gibt es neue Online-Finanzierungsplattformen wie Loanboox, wo Kredite zwischen Gemeinden, Kantonen und institutionellen Anlegern wie Pensionskassen vermittelt werden. Diese Plattformen ermöglichen laut VSGP-Geschäftsführer Bernhard Keller tiefe Zinsen und hätten sich mittlerweile bewährt.