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Die Stadtpolizei arbeitet an einem Konzept zum Schutz der Innenstadt vor terroristischen Angriffen. Das ist ein Novum.
Es sind zwei versteckte Sätze, die es in sich haben. Auf Seite 13 in der Vorlage für die Neugestaltung des St.Galler Marktplatzes schreibt der Stadtrat an das Stadtparlament: «An den Eintrittsorten zu Marktplatz und Bohl sollen Poller die unkontrollierte Zufahrt während Veranstaltungen, Märkten oder Grossanlässen verhindern. Die Aufwendungen für die Installation der Poller ist nicht Teil dieses Antrags, diese werden in einem Gesamtkonzept ‹Terrorschutz der Altstadt› ermittelt.»
Ein Konzept zum Schutz vor Terror, das ist neu für die Stadt St.Gallen. Was hat es damit auf sich? «Das Konzept soll im Verlauf des nächsten Jahres erstellt werden», sagt Dionys Widmer, Sprecher der St.Galler Stadtpolizei. Über den Inhalt lasse sich zurzeit noch nicht allzu viel sagen. Trotzdem lässt er sich ein wenig in die Karten blicken.
Auslöser für das Schutzkonzept sei der Terroranschlag in Nizza gewesen, sagt Widmer. Auf der Promenade von Nizza rast im Juli 2016 ein Attentäter mit einem Lastwagen durch die Menschenmenge. 86 Menschen sterben, darunter drei Schweizer. Die Terrororganisation Islamischer Staat bekannte sich zu dem Anschlag. Im Dezember des gleichen Jahres fährt ein Terrorist mit einem gekaperten Sattelschlepper in Berlin in den Weihnachtsmarkt. Zwölf Menschen werden getötet.
Nach den Anschlägen reagierte die Stadtpolizei. Bereits beim St.Galler Fest, das einen Monat nach dem Anschlag in Nizza stattfand, versperrten Baggern und Kehrichtabfuhrwagen die Zufahrtswege zum Marktplatz. Beim Weihnachtsmarkt sorgen seither Betonklötze für die Sicherheit der Besucher. Beim Kinderfest im vergangenen Jahr wurden auch Stadtbusse quer auf den Strassen zum Umzug parkiert.
An der diesjährigen Olma waren an den Zufahrtswegen schwarz umkleidete, mit Wasser gefüllte Tanks aufgestellt. Marktfahrer und auch Einsatzfahrzeuge können die klobigen Hindernisse langsam im Zickzack umfahren. Eine Amokfahrt mit einem Fahrzeug und der Absicht, Menschen zu töten, wird aber durch die Wasserbehälter massiv erschwert. Auch als der Zirkus Knie im April auf dem Spelteriniplatz gastierte, kamen die Tanks zum Einsatz. Früher habe die Stadtpolizei Fahrzeuge und Betonelemente für die Strassensperren eingesetzt, sagt Widmer.
«Die Elemente sind aber aufwendig im Auf- und Abbau»
Zudem hätten internationale Tests gezeigt, dass Betonelemente keinen optimalen Schutz bieten würden. «Sie können weggeschleudert werden.» Die mit Wasser gefüllten Kunststoffbehälter (sogenannte Indutainer) würden hingegen einen höheren Schutz bieten und seien einiges einfacher in der Handhabung. Widmer sagt: «Die Sperren können überall ohne eine Vorinstallation aufgestellt werden.» Das sei ein Vorteil, weshalb die Stadtpolizei die Wassertanks auch zukünftig an Veranstaltungen einsetze.
Beim Marktplatz sei die Lage jedoch etwas komplizierter. «Momentan setzt die Stadtpolizei mobile Strassensperren ein.» Doch deren Einsatz sei mit einem entsprechenden Planungsaufwand verbunden, sagt Widmer. «Es ist naheliegend, dass anstelle des Schutzes von einzelnen Veranstaltungen allenfalls mit baulichen Massnahmen, beispielsweise mit Pollern, bei Zufahrtswegen in die Altstadt eine Reduktion des Aufwands und eine bessere Sicherheit gewährleistet werden können.» Dies werde nun im Rahmen der Neugestaltung des Marktplatzes in einem separaten Konzept überprüft. Dabei werden nebst den Hauptzufahrtsachsen zum Marktplatz insbesondere auch die übrigen Altstadtzufahrten genauer angeschaut. Bei der Erarbeitung des Konzepts tausche sich St.Gallen mit anderen Schweizer Städten aus. Dazu zählt beispielsweise Zürich. «Wie bereits in der Vergangenheit ziehen wir deren Erfahrungswerte für das Konzept bei.»
Doch wie steht es um die Gefahr eines Terroranschlags in St.Gallen? Darauf angesprochen antwortet Widmer: «Nach Auskunft des Nachrichtendienstes liegen derzeit keine Hinweise auf eine direkte terroristische Bedrohung der Schweiz vor, jedoch bleibt die Bedrohung erhöht.» Wichtig sei es, mögliche Täter frühzeitig zu erkennen. «Dabei arbeiten wir eng mit der Kantonspolizei St.Gallen zusammen.» Zudem stehen die städtischen und kantonalen Polizeiorgane bei der Beurteilung der Sicherheit laufend in Kontakt mit den zuständigen Stellen des Bundes.
Auch andere Schweizer Städte setzen sich mit dem Schutz vor einer allfälligen Terrorbedrohungen auseinander. Besonders aktuell ist das Thema derzeit in Bern. Die Stadt will die wichtigsten, öffentlichen Plätze besser vor Attacken und Unfällen mit Fahrzeugen schützen. Aus diesem Grund hat sie eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Das Resultat wird noch in diesem Jahr erwartet und dem Gemeinderat unterbreitet, wie Norbert Esseiva, Leiter Orts- und Gewerbepolizei der Stadt Bern, bestätigt.
Um einen minimalen Schutz vor einer Amokfahrt zu gewährleisten, kommen in Bern seit einigen Jahren bei grösseren Veranstaltungen mobile Betonklötze zum Einsatz. In der Weihnachtszeit werden die Sperren gar als Geschenke verpackt, damit sie schöner aussehen. Der Nachteil: «Es bedeutet jedes Mal einen Riesenaufwand, die Elemente aufzustellen», sagt Esseiva. Aus diesem Grund denke man darüber nach, die mobilen Klötze durch permanente Massnahmen zu ersetzen. Die Machbarkeitsstudie soll Antworten auf die Frage liefern, wie diese aussehen und wo sie zu stehen kommen sollen.
Ein Beispiel für eine permanente Massnahme findet sich beim Berner Käfigturm. Dort steht seit diesem Sommer eine 15 Meter lange geschwungene Sitzbank. Gemäss Esseiva wurde sie aufgestellt, nachdem eine Studie gezeigt hat, dass es in Bern zu wenig Sitzgelegenheiten gebe. Doch die Bank dient nicht nur zum Ausruhen, sie verkleidet Betonblöcke, welche eine direkte Zufahrt auf den Bärenplatz verhindern sollen.
Die Stadt Luzern beurteilt die Sicherheitslage seit 2007 alle drei Jahre im sogenannten Sicherheitsbericht. Der neuste Bericht ist soeben erschienen. Das Risiko eines Terroranschlags wird darin als tief eingestuft, der mögliche Schaden als sehr hoch. Die Stadt Luzern nehme die Terrorgefahr ernst, heisst es im Bericht. Man wolle pragmatische Lösungen finden und das Sicherheitsgefühl verbessern, «ohne dass die Stadt zur Festung werde». Bis jetzt gibt es in Luzern kein fest installiertes Mobiliar zur Terrorabwehr. Doch nun will die Stadt prüfen, inwiefern bauliche Massnahmen zum Schutz vor Terroranschlägen umgesetzt werden sollen.
In Winterthur wird zurzeit ein neues System für Zufahrtssperren evaluiert. Anlässe wie das Albani-Fest oder der Weihnachtsmarkt würden jeweils einzeln beurteilt, sagt Adrian Feubli, Mediensprecher der Stadtpolizei. «Wir kennen die Altstadt und wissen, welche Vorkehrungen wo zu treffen sind.» Dabei gebe es sichtbare Massnahmen wie Zufahrtssperren, aber auch andere Massnahmen, die man nicht sehe. Aus polizeitaktischen Gründen will er nicht ins Detail gehen.
Auch die Stadtpolizei Zürich nimmt vor jedem Anlass auf dem Stadtgebiet eine Lagebeurteilung vor, wie Marc Surber vom Mediendienst auf Anfrage mitteilt. Daraus würden jeweils mehrere Massnahmen abgeleitet. Beim Züri-Fäscht und an der Street Parade setzte die Stadtpolizei Zürich dieses Jahr mobile Strassensperren ein, welche die Zugänge zur Innenstadt abriegelten.
Die Terrorabwehr beschränke sich aber nicht nur auf Schutzmassnahmen, sagt Carol Mauerhofer, Kommunikationsbeauftragte des Schweizerischen Städteverbands. Die Städte seien auch bei der Prävention gefordert. So werden bereits viele Massnahmen umgesetzt, welche eine Radikalisierung verhindern sollen. Die Stadt Zürich hat eine Fachstelle für Gewaltprävention eingesetzt, Basel-Stadt eine «Task-Force Radikalisierung» und in Biel gibt es seit rund zwei Jahren eine zentrale Ansprechstelle Extremismus- und Gewaltprävention. Diese berät Privatpersonen und Verwaltungsstellen bezüglich der Themen Extremismus und Radikalisierung. (cw)