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Es ist Weihnachten, logisch, dass man da auch Weihnachtsbäume kaufen kann. Nicht so in der Neugasse 40: Der Pop-up-Store in St.Gallen steht voller Bäume, doch kaufen kann man nichts. Ausgeben kann man auch nichts. Was man bekommt: Stille. Und die Illusion eines Waldes.
Als wäre es ein Gedicht von Joseph von Eichendorff. Oder Goethe. Oder irgendeinem der anderen Waldromantiker. Waldeseinsamkeit, es grünt so grün, über allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch, da draussen, stets betrogen, saust die geschäft'ge Welt – ja genau so ist es. Im Pop-up-Store der Stille. Mitten in der St.Galler Altstadt. Plötzlich steht man im Wald. Zwischen Samen-Höhener und Visilab ein kleines Ladenlokal, das vor Tannengrün und Waldillusion überquillt.
Ein Kraftort sei es, ein Ort zum Innehalten, Natur und Stille würden auf einen warten. So wirbt der Flyer für den «Stadtwald». Man muss aber gar nicht esoterisch veranlagt sein, um sich vom Waldbesuch im Stadtzentrum berührt zu lassen. Die katholische Kirche hat ihn «erfunden», bis 31. Dezember noch lädt der künstliche Wald zum Verweilen ein.
Auf dem Ladenschild an der Fassade steht nur ein Wort: «Stille». Die Tür steht weit offen. Maskenpflicht gilt im Innern. Wer mag, kann sich die Hände mit Waldduft desinfizieren. Und dann, dann taucht man mitten hinein in den künstlichen Stadtwald.
Wenige Quadratmeter nur. Still ist es nicht. Vögel zwitschern. Überall grün. Zwischen Tannenbäumen und Zweigen hindurchschlängelt sich ein schmaler Pfad, die Äste rascheln über Arme und Schultern. Rindenmulch und Tannenzapfen federn die Schritte ab. Ein grosser Holzpilz liegt im Gehölz, Baumstämme laden zum Sitzen ein. Dort linst ein Uhu vom Baum, da irgendein anderer Vogel, kleine, grosse – sie sind nicht angeschrieben, man ist ja nicht im Museum, sondern im Wald.
Ein paar Treppenstufen hoch, zwischen Tannengrün hindurch, plötzlich steht man wie in einer Art Walddusche. Eine enge Nische, voller Efeu und Farn, es rauscht, als würde ein kleiner Wasserfall niederprasseln. Ein paar Blätter glänzen, als hätte der imaginierte Bach sie nass gespritzt. Vielleicht hat aber auch nur der vorherige Besucher heftig geniesst.
An einer Hörstation klingt eine Kurzgeschichte aus dem Kopfhörer. Blick ins Grüne. Von draussen dringt Stadtlärmen herein, Stimmen, Verkehr, jemand lacht kreischend. Lieber dem Vogelgezwitscher lauschen.
Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Diorama eines Naturmuseums. Nur schaut man nicht auf ausgestopfte Tiere in künstlicher Landschaft, man ist selber mittendrin. Kann sich zu Fuchs und Hase setzen, ins Grün. Und kurz innehalten. Kurz. Die Illusion währt nicht lange, denn schon stapfen die nächsten durch den Kunstwald. Waldeseinsamkeit gibt es halt doch nur bei Brahms. Oder im echten Wald.
Schade, dass der überraschendste Pop-up-Store der Stadt schon bald wieder schliesst. So einen Waldraum könnte man dauerhaft einrichten. Genug leerstehende Ladenlokale gäbe es ja. Füllt sie mit Waldromantik! Waldeseinsamkeit statt Kommerz! Nur zum Bräteln, dafür müsste man dann vielleicht besser in den echten Wald.