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Der gebürtige Kurde fühlt sich am Bodensee zu Hause. In seiner Heimat der Türkei wurde der Gastronom wegen seiner politischen Einstellung verfolgt.
«Einmal Dürüm mit Scharf. Ohne Zwiebeln!» Metin Sezen benötigt nur wenige Handgriffe, und der hungrige Gast beisst innert kurzer Zeit genüsslich in den warmen Kebab. Es ist kurz nach Mittagszeit an einem heissen Julitag in Rorschach. Der Brillant-Kebab leert sich langsam. Eine Angestellte serviert einer Handvoll Leuten, die noch draussen an den Tischen sitzen, kühles Bier.
Seit 30 Jahren lebt der 56-jährige Sezen in der Schweiz, seit neun Jahren wohnt er in Rorschach. Zuvor war er im Jura und danach im Thurgau, in Arbon, zu Hause. 2000 erfüllte sich der Gastronom mit der ruhigen Stimme einen Traum: Er kaufte das Ladenlokal an der Signalstrasse und eröffnete dort sein Kebab-Lokal. «Ich wollte schon immer selbstständig sein und ein eigenes Geschäft besitzen», sagt er. An sieben Tagen die Woche steht Sezen in seinem Geschäft. Ferien macht er wenig. Das hohe Arbeitspensum geht nicht spurlos an ihm vorbei. «Manchmal bin ich schon ein bisschen müde», sagt er. Dennoch habe er bisher den Schritt in die Selbstständigkeit nicht bereut.
Geboren ist Sezen in der anatolischen Stadt Erzincan. Aufgewachsen ist er mit seinen Eltern und sechs Geschwistern in der türkischen Metropole Istanbul. Istanbul sei eine so schöne Stadt. «Als Kind bin ich mit Delfinen im Marmara-Meer geschwommen», erinnert er sich. Heute sei das leider nicht mehr so. Überall habe es Beton, und stinkende Autoabgase verpesten die Luft.
Auch wenn Sezen das Istanbul von damals sichtlich vermisst: Sein Leben in der Stadt am Bosporus war nicht immer einfach. Wegen seiner politischen Gesinnung sass er von 1981 bis 1984 in einem Istanbuler Gefängnis.
Bei seiner Verhaftung war Sezen nur 19 Jahre alt. «Ich bin Kurde und kämpfte für soziale Gerechtigkeit in der Türkei», sagt Sezen. Das habe das türkische Militärregime gar nicht gerne gesehen. «Alle, die nicht die Meinung der Regierung teilten, landeten im Gefängnis. Die Verhaftungen waren völlig willkürlich.» Er sei nicht wirklich politisch aktiv gewesen. «Ich und meine Freunde haben sozialistische Parolen an die Wände gesprayt und haben an Demonstrationen teilgenommen». «Mehr nicht», beteuert er, «wir waren jung und verbrachten einfach gerne unsere Zeit zusammen.»
Die drei Jahre im Gefängnis haben Sezen geprägt. «Man hat mich verprügelt, immer wieder», sagt er leise. «Manche Häftlinge sind auch gestorben.» Frische Luft und Bewegung waren im türkischen Knast Fehlanzeige. «Einmal pro Woche durften wir für zehn Minuten raus.» Sonst habe er auf engstem Raum mit 15 anderen Gefängnisinsassen die Zeit totgeschlagen. Bücher lesen war erlaubt.
"Zum Glück. Ohne Bücher hätte ich nicht überlebt."
Seine knappe Freizeit verbringt der Vater eines erwachsenen Kindes draussen. «Ich liebe die Natur hier in der Region. Der Bodensee ist fast wie das türkische Meer», sagt Sezen.
Sezen ist nach Rorschach gekommen, um zu bleiben. «Ich fühle mich sehr wohl hier.» Er bereue einzig, dass er nicht besser Deutsch gelernt habe. Doch er betont: «Integration bedeutet nicht nur, die Sprache zu lernen, sondern auch, am Leben in der neuen Heimat teilzuhaben.»
Eine Rückkehr in die Türkei, seine alte Heimat kommt für den Rorschacher Sezen unter den heutigen Umständen nicht in Frage. «Nein. Auf keinen Fall, ich will nicht mehr nach Istanbul zurück. Die Schweiz ist jetzt meine Heimat.»
In unserer Region leben zahlreiche Menschen aus einem anderen Land. Sie erzählen, wie und weshalb sie ihre Heimat verlassen haben. Bisher erschienen: Jana Brändli, aus Tschechien nach Goldach (9.7.) (bro)