Verkehr
«Parteifarben dürfen jetzt keine Rolle spielen»: Der Gossauer Stadtrat legt dem Parlament die Mobilitätsstrategie vor

Der Verkehr in Gossau ist am Anschlag. Abhilfe schaffen soll ein Gesamtverkehrskonzept, das auf der Basis einer Mobilitätsstrategie erarbeitet wird. Diese Strategie unterbreitet der Stadtrat nun dem Stadtparlament.

Perrine Woodtli
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Stockender Verkehr im Stadtzentrum: in Gossau ein beinahe alltägliches Bild.

Stockender Verkehr im Stadtzentrum: in Gossau ein beinahe alltägliches Bild.

Bild: Hanspeter Schiess

Es ist einer der Dauerbrenner in Gossau: das Verkehrsproblem. Vor allem zu Stosszeiten kommen Autos, Busse und Lastwagen nur im Schritttempo durchs Zentrum. Erkannt wurde das Problem schon lange, nur eine Lösung konnte bisher nicht gefunden werden, obschon in den vergangenen Jahren zahlreiche Möglichkeiten geprüft wurden.

Abhilfe schaffen soll jetzt ein Gesamtverkehrskonzept. Grundlage für dieses Konzept ist unter anderem eine Mobilitätsstrategie. Diese hat die Stadt am Montag nun vorgestellt.

Das Auto wird klar am meisten genutzt

«Das Verkehrssystem ist am Anschlag», sagt Stadträtin Gaby Krapf, die dem Departement Bau, Umwelt und Verkehr vorsteht. Es sei allen klar, dass etwas passieren müsse. «Der Verkehr ist schon fast Gossaus Markenzeichen geworden.» Sie lebe nun seit rund 40 Jahren in Gossau und schon damals sei sie «sicher nicht wegen der Verkehrssituation hierhergezogen». Sie werde auch regelmässig von Gossauerinnen und Gossauern auf die unbefriedigende Situation angesprochen.

Gaby Krapf, Gossauer Stadträtin.

Gaby Krapf, Gossauer Stadträtin.

Bild: Ralph Ribi

Krapf nennt Zahlen: 68 Prozent aller Wege in Gossau werden heute mit dem Auto zurückgelegt – und das, obwohl es sich dabei oft um kurze Wege handle und sich die Stadt aufgrund ihrer Topografie ideal für den Fuss- und Veloverkehr eigne.

Der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist aber klar der dominanteste Verkehrsträger, wie der Modalsplit verdeutlicht. Der Modalsplit beschreibt die Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel am Gesamtverkehr in einem bestimmten Gebiet. In Gossau sieht der Modalsplit wie folgt aus:

  • Motorisierter Individualverkehr: 68 Prozent (89’500 Bewegungen pro Tag)
  • Fussverkehr: 18 Prozent (23’500 Bewegungen pro Tag)
  • ÖV: 9 Prozent (12’000 Bewegungen pro Tag)
  • Veloverkehr: 5 Prozent (7000 Bewegungen pro Tag)

Im Vergleich zu anderen Schweizer Städten sei der Anteil des MIV in Gossau hoch, sagt Krapf. In St.Gallen beispielsweise mache er rund 45 Prozent aus, in Winterthur rund 42 Prozent.

«Manche Personen sagen vielleicht, dass es heute gerade noch so geht mit dem Verkehr.» Die Stadträtin weist aber darauf hin, dass Gossau in den nächsten Jahren wachsen wird. Bis 2040 rechnet man mit einem Bevölkerungszuwachs von 16 Prozent, was 3000 zusätzlichen Gossauerinnen und Gossauern entspricht. Hinzu kommen 18 Prozent mehr Arbeitskräfte, 2040 wären es somit rund 13’200 Beschäftigte. Das bedeutet auch mehr Verkehr. Die Stadt rechnet bis 2040 mit 17 Prozent mehr Wegen, die in Gossau zurückgelegt werden.

Mehrverkehr soll mit Fuss, Velo und ÖV bewältigt werden

Damit der Verkehr nicht noch stärker belastet wird, müsse der Modalsplit bis 2040 verändert werden, sagt Krapf. Mehr MIV könne das Verkehrssystem nicht bewältigen. Konkret bedeutet das: Der MIV-Anteil soll nicht grösser werden, sondern gleich bleiben wie heute. Der Mehrverkehr soll mit Fuss, Velo und ÖV bewältigt werden. So soll der Modalsplit 2040 aussehen:

  • Motorisierter Individualverkehr: 58 Prozent (89’500 Bewegungen pro Tag)
  • Fussverkehr: 18 Prozent (28’000 Bewegungen pro Tag)
  • ÖV: 15 Prozent (23’000 Bewegungen pro Tag)
  • Veloverkehr: 9 Prozent (13’500 Bewegungen pro Tag)

Damit mehr Personen aufs Velo und den ÖV umsteigen oder zu Fuss gehen, brauche es attraktivere Langsamverkehrsachsen sowie ein verbessertes ÖV-Angebot, sagt Krapf. Der Verkehr in Gossau solle verlagert und verträglich gestaltet werden – und zwar auf dem bestehenden Strassennetz.

Denn verschiedene Abklärungen haben gezeigt, dass zusätzliche Strassen, beispielsweise für Umfahrungen, nicht die gewünschte Entlastung bewirken würden. Konkrete Massnahmen beinhaltet die Mobilitätsstrategie keine. Diese werden erst ins Gesamtverkehrskonzept aufgenommen.

«Alle Verkehrsmittel sollen gewinnen»

In der Mobilitätsstrategie liegt das Augenmerk auf dem Langsamverkehr und dem ÖV. Die Vertreter des MIV könnten diese als rot-grünes Papier auffassen. Stadtpräsident Wolfgang Giella verneint: Mit der geplanten Verlagerung des Verkehrs profitierten auch die Autofahrerinnen und -fahrer. «Es wird immer Autos auf den Strassen geben, das ist uns klar. Aber so kann es nicht weitergehen.» Der Autoverkehr könne in Gossau nur weiterrollen, wenn das Verkehrswachstum von anderen Verkehrsmitteln bewältigt werde. Giella betont: «Alle Verkehrsmittel sollen gewinnen.»

Wolfgang Giella, Stadtpräsident Gossau.

Wolfgang Giella, Stadtpräsident Gossau.

Bild: Benjamin Manser

Auch für Krapf ist klar: «Wir dürfen uns jetzt nicht gegenseitig bekämpfen, sondern müssen nun gemeinsam konsensfähige Lösungen schmieden.» «Der Verkehr sind wir alle», sagt Giella. Und ergänzt: «Parteifarben dürfen jetzt keine Rolle spielen.» Ein flüssiger Verkehr sei auch wichtig für die Fachgeschäfte im Gossauer Zentrum, ergänzt Tiefbauamtsleiter Hans-Peter Roters. Mit der heutigen Verkehrssituation sei ein Einkauf dort heute nicht immer attraktiv.

Der Stadtrat unterbreitet die Mobilitätsstrategie nun dem Parlament. Die Parlamentsmitglieder sollen die Strategie beraten und Rückmeldungen geben. «Diese werden wir im Rahmen der Möglichkeiten dann einfliessen lassen», sagt Giella. Anschliessend erarbeitet der Stadtrat das Gesamtverkehrskonzept. Dieses wird danach der öffentlichen Mitwirkung unterstellt, bevor es ins Parlament kommt.