TOGGENBURG: Vom Kartoffelbrot zu den Blauen

Während früher «Herdöpfel» einfach sättigen sollten, isst heute das Auge mit: Christoph Gämperli erzählt morgen im Landwirtschaftlichen Zentrum, wie er aus zwei alten Sorten blau-violette Kartoffeln schuf.

Christelle Wick
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Ein «antikes» Passevite von Anfang 19. Jahrhundert: Heisse Kartoffeln durch ein Sieb durchgedrückt ergibt Kartoffelstock. (Bild: PD)

Ein «antikes» Passevite von Anfang 19. Jahrhundert: Heisse Kartoffeln durch ein Sieb durchgedrückt ergibt Kartoffelstock. (Bild: PD)

Kartoffelstock, Gschwellti oder Pommes frites: Der «Herdöpfel» ist aus der Schweizer Küche nicht wegzudenken. Als Grundnahrungsmittel setzt er sich aber erst nach der Hungersnot von 1816/ 1817 durch. Zwar bringen See­fahrer die Kartoffel bereits im 16. Jahrhundert aus den Anden nach Europa, wo Adelige sie ­wegen ihrer hübschen Blüten züchten.

Die Knolle des giftigen Nachschattengewächses ist als Speise aber gefürchtet. Ihr wird nachgesagt, sie mache krank und sogar dumm. Erst 200 Jahre später beginnt ihr Siegeszug als Grundnahrungsmittel. Als Nahrungsmittel verbreitet sich die Kartoffel ab 1740 im Toggenburg zögerlich: Denn die Obrigkeit fürchtet eine Minderung des Getreidezehnten durch den Kartoffelanbau. Im Gegensatz dazu verhilft Friedrich der Grosse der Knolle mit einer legendären List zum Durchbruch: Er lässt die angelegten Kartoffeläcker tagsüber bewachen und weckt so das Interesse seiner Untertanen, die Knollen des Nachts ausgraben, um sie zu essen. Die Kartoffel soll angeblich Preussen im Siebenjährigen Krieg 1756 bis 1763 vor einer Hungersnot bewahrt haben. Obwohl der arme Mann vom Toggenburg, Ulrich Bräker, just in dieser Zeit unfreiwillig bei Friedrich dem Grossen Solddienst leistet, scheint er nicht auf den ­Geschmack gekommen zu sein. Er lobt zwar die Kartoffeln in ­ den Notzeiten 1770/1771 als Brot- und Mus-Ersatz, beschreibt aber, wie sie kurz darauf wieder zum Schweinemästen verwendet würden.

Das Auge in die Erde, der Rumpf in den Kochtopf

Zwar propagieren ab Mitte des 18. Jahrhunderts Landwirtschaftsreformer die Kartoffel als köstliche Speise. Denn die Pflanze ist nicht nur anspruchslos und arbeitsextensiv, auf gleicher Pflanzfläche ist ihr Nähr- und Sättigungswert bedeutend höher als bei Weizen. So erscheint in Zürich bereits nach 1771 das erste Rezept für schmackhaftes Kartoffelbrot. Und das Amtsblatt des Kantons St. Gallen ruft während der Hungersnot 1816/1817 zum rationellen Kartoffelanbau auf: Wer die «Kappe» mit den schönsten Augen vom Rumpf trenne und setze, könne seinen Magen füllen und gleichzeitig für die nächste Ernte sorgen.

Ob fest- oder mehligkochend, ob weiss-, gelb- oder blaufleischig: Heute werden die unterschiedlichen Kartoffelsorten ­geschätzt und weiterentwickelt. Morgen Samstag, 1. Juli, 10 Uhr, hält Christoph Gämperli, Geschäftsführer St. Gallische Saatzucht, über die Kartoffel allgemein und über die von ihm gezüchtete Sorte «Blaue St. Galler» einen Vortrag inklusive des Besuchs des Kartoffelgartens (gute Schuhe anziehen). Treffpunkt ist um 10 Uhr im Landwirtschaftlichen Zentrum Flawil, Mattenweg 11, vor dem Gebäude mit zwei Plastikkühen. Der Vortrag wird von der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde und dem Toggenburger Museum organisiert und ist kostenlos. Kollekte.

Das Toggenburger Museum in Lichtensteig zeigt noch bis 30. Oktober die Sonderausstellung «Esse git’s nur gsottes Gräs: Ein Toggenburger Junge erzählt von der letzten Hungersnot 1816/1817». Weitere Informationen zu den Öffnungszeiten und den Begleitveranstaltungen zur Sonderausstellung siehe: www.toggenburgermuseum.ch