Seit Juli befasst sich das Toggenburger Museum in einer Sonderausstellung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Auswirkungen auf die Region. Am Sonntag sprachen zwei Zeitzeugen und entführten das zahlreich erschienene Publikum in eine Schweiz, die heute kaum noch vorstellbar ist.
LICHTENSTEIG. «Als der Himmel über St. Gallen brannte, dachten wir, der Krieg hätte nun auch die Schweiz erreicht», erinnert sich Irma Klauser an das Jahr 1944 und eines ihrer eindrücklichsten Erlebnisse der Kriegszeit zurück. Damals wurde Friedrichshafen angegriffen. «Während des Bombenangriffs erwachte ich mitten in der Nacht und auch mein damals drei Wochen alter Sohn begann zu schreien. Der Lärm war bis ins Toggenburg zu hören.» Die heute 94-Jährige, wohnhaft in Wald-Schönengrund, wurde im Verlauf des Kriegs Mitglied des Frauenhilfsdienstes und schliesslich Sekretärin des Generalstabes.
Daneben kam sie durch ihre Schwiegermutter in engen Kontakt mit Flüchtlingen. Diese führte damals das Hotel Krone in Schönengrund, wo ab 1938 zahlreiche Juden aber auch Internierte eine Unterkunft fanden. «Erst wurden die Flüchtlinge im Auffanglager Diepoldsau untergebracht. Als immer mehr kamen, hat man sie verteilt. Zu Anfang kamen insbesondere ledige, junge Burschen. Sie waren von ihren Verwandten weggeschickt worden, damit überhaupt jemand aus der Familie überlebte», berichtet Irma Klauser die Geschehnisse. Dabei erinnert sie sich an heldenhafte Taten, aber auch zahlreiche tragische Erlebnisse zurück: «Polizeihauptmann Paul Grüninger war an der Grenze tätig, von wo aus er vielfach erfolgreich versuchte, die restliche Familie nachkommen zu lassen.» Viele Flüchtlinge seien auch über den alten Rhein in die Schweiz gelangt, was gerade bei starken Regenfällen schwierig war – «das Wasser stand ihnen bis zur Brust».
Genaue Einblicke in das Geschehen der Region konnte der zweite anwesende Zeitzeuge, Robert Forrer, geben. Er ist ehemaliger Stadtammann und noch bis Ende des Jahres Archivar von Lichtensteig. 1939 begann Forrer seine Ausbildung bei der Gemeinde und musste die Geschäfte schon bald alleine regeln. «Nach einem halben Jahr mussten meine Vorgesetzten einrücken, ich hatte keine Hilfe mehr», erzählt der bald 90-Jährige, der aufgrund der vielen Pflichten meist auch nachts arbeiten musste. «Als Lehrbub musste ich die neu eingeführten Rationierungskarten alleine führen und kontrollieren. Erst wurden Produkte wie Zucker und Öl gesperrt, bald gab es aber auch Marken für Seife und Textilien – das System wurde immer komplizierter.» Heute staune er, wie seine Arbeit während des Zweiten Weltkrieges überhaupt klappen konnte. «Wir erlebten damals eine schwere Zeit.»
Anhand zahlreicher Zeitdokumente veranschaulichte Robert Forrer die damaligen Einschnitte ins Alltagsleben. So fuhren mit sieben bloss noch halb so viele Züge ab Lichtensteig, wie ein Fahrplan aus den Kriegsjahren zeigt. Mit Rationierungskarten vom Juli 1948 verdeutlichte er, dass der Verzicht mit Kriegsende nicht aufhörte. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Mehl, Fett und Öl noch rationiert. Nach Jahren in denen die Bevölkerung oft graues Brot bekam, sei das erste frische Brot nach Kriegsende ein «Fest» gewesen. «Ansonsten war das Ende keine grosse Sache. Überall läuteten die Glocken, man atmete auf, grosse Feierlichkeiten gab es aber nicht», sind sich die beiden Zeitzeugen einig.