Kantonsschüler haben Toggenburger Zeitzeugen zum Zweiten Weltkrieg befragt. Mit den umfangreichen Ergebnissen ihrer Recherchen wurde nun eine neue Sonderausstellung im Toggenburger Museum in Lichtensteig gestaltet.
LICHTENSTEIG. «Man musste sich halt einschränken», so erklärt Alt-Städtlipräsident Robert Forrer rückblickend den Alltag während der Kriegsjahre im Toggenburg. Insgesamt acht Zeitzeugen erzählten ihre Erinnerungen Schülern der Kantonsschule Wattwil. Daraus entstand ein Generationen übergreifendes Projekt: Wie lebendig Geschichte sein kann, erfährt man in den gefilmten Interviews.
Die Maturaklasse des Kantonsschullehrers Anselm Zikeli, die das Ergänzungsfach Geschichte besuchte, widmete sich einem Thema, das bald nur noch in den Schulbüchern zu finden sein wird, dem Alltag während des Zweiten Weltkriegs. Seit dem Bergier-Bericht sind viele Ausstellungen entstanden, so das gross angelegte Oral-History-Projekt «L'Histoire c'est moi». Für das Toggenburg hat Redaktorin Barbara Anderegg Grundlagenarbeit geleistet. Nun hat die Geschichts-Klasse Personen gefunden, die bereit waren, vor der Kamera zu berichten.
Mit 17 Jahren wurde damals jede und jeder verpflichtet, für drei Wochen bei einem Bauern zu arbeiten – es ist kaum anzunehmen, dass sich die Kantonsschüler heute darüber freuen würden. Ebenso wenig begeistert waren damals die Toggenburger Milchproduzenten. «Unsere Bauern hier waren gar nicht erfreut über die Anbauschlacht. Sie fanden, es sei schade um die Wiese, diese gäbe doch nicht viel her», erzählt eine Zeitzeugin. Trotzdem musste die Thurebene umgepflügt und in höheren Lagen Land gerodet werden. Ab 1939 wurden nach und nach knappe Güter rationiert. Teigwaren gab es im Monat pro Person zwischen 250 und 1000 Gramm. Bei den Eiern war die Situation noch prekärer. Zeitweise musste man mit nur einem Ei pro Monat und Person auskommen. Und Robert Forrer ergänzt schalkhaft lachend: «Da war es gut, wenn man eine grosse Familie hatte. Mit zwölf Kindern hatte man dann also 13 Eier.» Kartoffeln hingegen gab es genügend.
«Bei der Zweiten Mobilmachung an Pfingsten 1941 war es derart brenzlig, dass man keine Minute wusste, ob Hitler kommen werde», erzählt Karl Eichmann von Ricken. Man versteht die Angst und die Verunsicherung. Denn Nazi-Sympathisanten gab es anscheinend im Toggenburg viele: In Wattwil war das Volkshaus ein bekannter Treffpunkt. «Die Nazi-Freunde sagten, wenn sie getrunken hatten, sie hätten ein Schwarzbuch. Dort seien all jene aufgeschrieben, die sie bei Ankunft der Schwaben liquidieren würden», so Karl Eichmann.
Liebesgeschichten von Toggenburgerinnen mit Internierten gab es haufenweise, obwohl offizielle Seiten sie unterbinden wollten.
Ebenfalls reglementiert waren die Arbeitsmöglichkeiten der Internierten: Darum überbrückten sie die Warterei bis zur Rückkehr mit Schnitzereien. Prächtige Spazierstöcke entstanden, aber auch geschnitzte Bilder mit der Yburg.
Aus Angst vor Angriffen wurden die Fenster mit Nachtvorhängen abgedeckt, so dass kein Licht nach aussen drang. Und die Velos fuhren nachts nur noch mit einer dunkelblauen Birne. An ein Ereignis erinnert sich Otto Scheiwiller aus Ebnat-Kappel besonders, den Bomberabsturz am 28. April 1944: «Ich lag im Bett. Auf einmal war ein riesiges rotes Licht am Himmel. Ich bin sofort ans Fenster gerannt und da hat er schon gebrannt, ist aber noch geflogen. Ich habe gedacht: Geht er jetzt vor oder hinter dem Berg hinunter? Und dann ist er hinter dem Berg beim Gräppelensee abgestürzt.» Als Erinnerung besitzt Otto Scheiwiller immer noch ein Metallteil, das er bei der Absturzstelle gefunden hat.
Heinz Zwingli aus Ebersol und sein Sohn Stefan besitzen die grösste Sammlung an Überresten von den Bomberabstürzen im Toggenburg. In ihrer Freizeit suchen sie seit Jahren nach solchen Metallteilen. Und so erstaunt es nicht, dass sie auf ihren Grabungen nicht nur zahlreiche Fundstücke entdecken, sondern auch die eine oder andere Geschichte zutage kommt: Eines Tages überreichte ein Jäger ihm einen intakten englischen Fliegermantel mit der Erklärung, er habe ihn als Junge aus dem abgestürzten Flugzeug gestohlen. Prächtig ziert er zusammen mit dem Helm von der ersten Notlandung eines amerikanischen Bombers in der Schweiz die Ausstellung. (pd)
7. Juli bis 28. Oktober jeweils Samstag und Sonntag 13 bis 17 Uhr im Toggenburger Museum, Hauptgasse 1, 9620 Lichtensteig, 071 988 81 81, www.toggenburgermuseum.ch