Forschen statt auswendig lernen

WATTWIL. Kantilehrer Anselm Zikeli realisierte mit seinen Schülern die Ausstellung «Hungern mussten wir eigentlich nie», die derzeit im Toggenburger Museum zu sehen ist. Er erklärt, warum solche konkrete Forschung Platz hat im Schulunterricht an der Kanti Wattwil.

Hansruedi Kugler
Drucken
Die Ausstellung «Hungern mussten wie eigentlich nie» im Toggenburger Museum besteht zum grossen Teil aus Zeitzeugen-Interviews, welche von Kantischülern geführt worden sind und die man sich in der Ausstellung auf IPads ansehen kann. (Bild: pd)

Die Ausstellung «Hungern mussten wie eigentlich nie» im Toggenburger Museum besteht zum grossen Teil aus Zeitzeugen-Interviews, welche von Kantischülern geführt worden sind und die man sich in der Ausstellung auf IPads ansehen kann. (Bild: pd)

WATTWIL. Bei der Ausstellungseröffnung im Juli waren alle zufrieden: Die Schüler stolz auf ihre Erfahrungen, der Lehrer über deren Leistung, die befragten Zeitzeugen über die Ernsthaftigkeit des Projektes und das Toggenburger Museum über die gelungene Zusammenarbeit mit der Kanti. «Die Ausstellung hat mich selbst aber zeitlich und organisatorisch an Grenzen gebracht», sagt Kantilehrer Anselm Zikeli. Die Suche nach Zeitzeugen, das Abholen von Objekten, Sponsoren-Gespräche und schliesslich die Gestaltung des Ausstellungs-Materials hat mehr Zeit gebraucht als gedacht. Trotzdem ist er überzeugt und begeistert von der Sache: «Man müsste eigentlich öfters solche konkreten Ausstellungs-Projekte machen können», sagt er. «Denn Geschichte lernen die Schüler am besten, in dem sie selbst forschen.» Und fügt hinzu: «Ohne das professionelle Know-how und Engagement des Teams vom Toggenburger Museum wären solche Projekte nicht zu realisieren.»

Voraussetzung Selbständigkeit

«Geschichtsdaten auswendig zu lernen, ist heutzutage im Unterricht völlig out», sagt Anselm Zikeli. Das Erkennen geschichtlicher Zusammenhänge und das kritische Befragen von Quellen stehe heute im Zentrum des Geschichtsunterrichts an der Kantonsschule: Schliesslich sollen die Kantischüler «universitätstauglich» gemacht werden. «Und dies lernt man am besten, indem man ein Thema selbständig erarbeitet, über Dokumente und Berichte von Zeitgenossen oder über die Begegnung mit Zeitzeugen», sagt der Wattwiler Kantilehrer. Frontalunterricht tauge dazu kaum. Selbständigkeit war auch eine Voraussetzung für seine Schüler beim Ausstellungs-Projekt «Hungern mussten wir eigentlich nie». Der Zeitrahmen war knapp bemessen, neun Monate Vorbereitung seien eigentlich zu wenig gewesen, sagt Anselm Zikeli selbstkritisch. Er schickte seine Schüler zu Toggenburger Zeitzeugen, die aus dem Alltag während der Zeit des Zweiten Weltkriegs berichten sollten. Mit diesem Projekt geht er über den üblichen Schulunterricht hinaus: Mit der konkreten Arbeit der Historiker kämen Kantischüler sonst kaum je in Kontakt. In seinem Unterricht haben solche Forschungen aber immer Platz: Im ersten Kantijahr müssen Anselm Zikelis Schüler jeweils einen Vortrag über einen ihrer Verwandten halten, der immigriert ist. Das Interesse an Geschichte zu wecken, fange oft bei der eigenen Familiengeschichte an, meint er.

Museal schon vorbelastet

Seit 2004 unterrichtet Anselm Zikeli an der Kanti Wattwil, ab 2006 in einem Vollzeitpensum, als Nachfolger von Hans Büchler. Dieser habe ihn auch als wissenschaftlichen Mitarbeiter für das Toggenburger Museum «rekrutiert», lacht er. Denn museal vorbelastet war Anselm Zikeli schon vorher. Nach dem Studium arbeitete er zunächst im Alpinen Museum Bern, wo er Objekte inventarisierte und ein Sammlungskonzept erarbeitete. So wie Hans Büchler neben einem Vollzeitpensum als Kantilehrer auch noch ein Museum zu führen, könne er sich allerdings nicht vorstellen. «Woher die Zeit nehmen?», fragt Anselm Zikeli achselzuckend.

In der Realität angekommen

Vier Stunden pro Wochen haben seine Kantischüler im Ergänzungsfach Geschichte: «Die Schüler konnten sich die Zeit selbst einteilen und Überstunden kompensieren», sagt Anselm Zikeli. Einige hätten trotzdem mehr investiert, vor allem jener Schüler, der die Zeitzeugen-Filme geschnitten hat. «Er hat mehrere Wochenenden dafür geopfert», sagt Anselm Zikeli. Rechtfertigt sich der grosse Aufwand auch pädagogisch? «Der grosse zeitliche Aufwand für die Organisation und Verarbeitung der Interviews und die Gestaltung des Ausstellungsmaterials brachten mich manchmal ins Grübeln», sagt er. Aber genau solche Erfahrungen seien für einige der Kantischüler später berufsrelevant.

Abgesehen davon könnten die Schüler eine grosse Portion Sozialkompetenz mitnehmen: «Ergreifend war für mich zu hören, dass viele meiner Schüler zu Hause mit ihren Grosseltern ins Gespräch über deren Erlebnisse gekommen sind», sagt Anselm Zikeli. Gibt es bald wieder eine Zusammenarbeit mit dem Toggenburger Museum? Ein paar weitere Ideen für weitere konkrete Zeitzeugen-Projekte hat Anselm Zikeli bereits. Unter dem Titel «Heberlein von unten» würde er gerne ehemalige Heberlein-Mitarbeiter befragen. Ob am Ende wieder eine Ausstellung daraus entsteht, lässt er noch offen.