LICHTENSTEIG/DIETFURT: Hungersnöte früher und heute

Das Programm zur Hungersnot vor 200 Jahren wird mit einem Vortrag über die Nöte und Migration in der heutigen Zeit abgeschlossen. Wie damals ist die Migration auch heute ein erhoffter Ausweg.

Drucken
Ein Schiff mit Auswanderern ist im Hafen von New York angekommen. Während der Zollinspektion gibt es unter den Passagieren ein ziemliches Gerangel. Das Bild entstand etwa 1870. (Bild: Getty)

Ein Schiff mit Auswanderern ist im Hafen von New York angekommen. Während der Zollinspektion gibt es unter den Passagieren ein ziemliches Gerangel. Das Bild entstand etwa 1870. (Bild: Getty)

In Ostafrika sind zurzeit Millionen Menschen auf der Flucht, um der Dürre und dem Hunger zu entfliehen. Auch während der Hungersnot 1816/1817 galt Migration als Ausweg: Kinder verdingten sich bei Bauern im Schwabenland und verzweifelte Männer traten häufig in den Solddienst ein. 1817 setzt eine erste Welle der Nordamerikawanderung ein. Es ist Anfang Juli 1816. Wie die vielen Toggenburger Spinnerinnen und Weber ist auch der St. Galler Kaufmann Johann Ulrich Büchler ohne Verdienst. Mit einer Bibel, sieben Goldmünzen und einer silbernen Uhr im Sack sucht er in der Ferne nach Arbeit. Ein ganzes Jahr wird er erfolglos durch Nordamerika und Kuba wandern, um danach wieder in seine Heimat zurückzukehren. Seine Abenteuer publiziert er 1820 in «Land- und Seereisen eines St. Gallischen Kantonsbürgers nach Nordamerika und Westindien».

Begehrte Handwerker und Kinder

Zunächst reist er zu Fuss und per Schiff von St. Gallen via Amsterdam nach Amerika. Das Land ist im Aufbau, Zimmerleute und andere Handwerker gefragt, nicht jedoch Schreiberlinge. Auch Kinder sind begehrt: Als das Auswandererschiff in Baltimore einfährt, besichtigen Arbeitsgeber und Bauern die Neuankömmlinge an Bord. Wer auf Kredit eingeschifft wurde, muss nun seine «Seeschuld» begleichen, indem er sich bei einem Bauern verdingt. Oder noch schlimmer: Er verkauft seine Kinder als temporäre Arbeitskraft und trennt sich so meist lebenslang von ihnen.

Keine Chance für einen Alten

Ohne Englischkenntnisse und mit seinen 54 Jahren gilt der Kaufmann Johann Ulrich Büchler als chancenloser Greis. So reist Johann Ulrich Büchler zunächst westwärts und danach südwärts durchs das ländliche Amerika bis nach New Orleans. Überall wird er herzlich empfangen, eine Lehrerstelle oder eine andere Arbeit ergibt sich jedoch nicht. So entschliesst er sich – obwohl er sich am brutalen Umgang mit den Sklaven stört – nach Kuba weiterzureisen. Dort locken grosse Verdienste, aber auch Tropenkrankheiten. Da reist Johann Ulrich wieder nordwärts nach New York, wo sich ein Spender sich seiner erbarmt seine Heimreise finanziert.

Zuhause angelangt, schreibt Büchler seine Erlebnisse nieder, und publiziert sie mit der Absicht, potenzielle Amerikareisende vorzubereiten. Dies betrifft in den 1820er Jahren auch zwei Toggenburger, die ihre Erinnerungen ebenfalls publizieren: Der Hemberger Johannes Schweizer und der Lehrer und Poet Johann Jakob Rütlinger.

Was brachte die Wanderschaft?

Obwohl der Migrationsversuch von Johann Ulrich Büchlers scheitert, hilft ihm die Wanderschaft über die schreckliche Hungersnot hinweg. Er selber erwähnt diese schlimme Zeit zu Hause nicht. Anders Johannes Schweizer: Dieser fürchtete, die Hungersnot könne ihn nachhaltig gesundheitlich schädigen und ihn lebenslang verschulden, weshalb er während der Hungersnot nach Basel übersiedelte, von wo er dann später direkt nach Amerika ging. (pd)