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Ostschweiz
St.Gallen, Gossau, Rorschach
Unsachgemässe Weidenetze und Stacheldrähte fordern jedes Jahr den Tod Hunderter Wildtiere. Auch auf Stadtgebiet sind sie ein Problem. Zwei Studentinnen und zwei Studenten der Universität St.Gallen haben nun ein Meldesystem entwickelt, mit Hilfe dessen die Bevölkerung gefährliche Zäune melden und entfernen lassen kann.
Ein Rehkitz, das sich in einem Weidenetz verfängt und kläglich verendet. Ein Steinbock, dessen Hörner sich in einem vergessen gegangenen Stacheldrahtzaun verheddert und hilflos auf den Tod wartet. So schlimm diese Bilder anzusehen sind, so häufig kommen sie vor. Auch im Kanton St.Gallen, sogar auf Stadtgebiet. So hat die Jagdgesellschaft Schaugen-Guggeien unlängst an mehreren Hegetagen im Goldachtobel mit freiwilligen Helfern tatkräftig angepackt, um Zäune und Netze einzusammeln und zu entsorgen.
In den vergangenen Jahren ist das Thema, das zuvor hauptsächlich in Jäger- und Wildhüterkreisen präsent war, auch aufs politische Parkett gekommen. Die kantonale Gesetzesinitiative «Stopp Tierleid – gegen Zäune als Todesfalle für Wildtiere» will Stacheldraht verbieten und strenge Regeln für das Aufstellen von Weidenetzen einführen (siehe Zweittext).
Aber nicht nur politisch wurden den vernachlässigten Zäunen in der Natur der Kampf angesagt. Die HSG-Studierenden Leon Zacharias, Vivienne Zeder, Alexandra Heck und Darius Rosenkranz haben im Rahmen eines Moduls ihres Masterstudiums ein Meldesystem für diese Zäune und Netze entwickelt. Damit können Wanderer, Spaziergänger, Mountainbiker oder Jogger solche Installationen schnell und unkompliziert melden. Und die Jagdvereine helfen, damit sie auch entfernt werden. Wie sind die Masterstudenten auf die Idee gekommen? Wie nachhaltig ist das Projekt? Und wie funktioniert das System?
Im Kurs «Nachhaltige Start-ups» geht es darum, mit einer Gründungsidee oder einem Projekt – möglichst regional – einen Mehrwert zu schaffen. Wo ansetzen? Leon Zacharias und Alexandra Heck, die beide aus Deutschland stammen, begaben sich mit den Zentralschweizern Vivienne Zeder und Darius Rosenkranz zu Kursbeginn auf einen Spaziergang im Appenzellerland. Brainstorming war angesagt. «Da begegneten wir einem Jäger», sagt Zeder. «Einige von uns hatten Berührungspunkte zur Jagd, haben sich aber nie eingehend damit beschäftigt.»
Also begannen die vier, sich nach möglichen Projekten zum Thema Jagd umzusehen. «Unser Ziel war es, eine möglichst grosse Wirkung mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand zu erzielen», sagt Leon Zacharias. Bald sei man in Rechercheinterviews mit Jägern aus der Schweiz und Deutschland auf die Problematik mit den Weidezäunen gestossen. «Uns war nicht bewusst, dass dadurch hundertfach Tierleid verursacht wird. Und wir wollten dazu beitragen, dass sich das ändert.»
Das Ganze funktioniert so: Die vier Studierenden haben 1000 Flyer drucken lassen, die im Tourismusbüro, in Bergbahnstationen oder Gastronomiebetrieben aufliegen. Darauf abgebildet ist ein QR-Code, der auf dem Smartphone gespeichert werden kann. Wer ihn scannt, wird auf ein Formular weitergeleitet. Dort kann die Bevölkerung dann ein im Zaun verfangenes Tier oder einen vernachlässigten Zaun melden, Bilder davon hochladen und den Fundort, zum Beispiel mit genauen Koordinaten, beschreiben. Die Angaben werden dann im Schnellverfahren verifiziert und an den zuständigen Wildhüter sowie an die lokalen Jagdvereine weitergeleitet. «Wir haben das Projekt so aufgezogen, dass es möglichst lang weiterbestehen kann, ohne dass wir über Jahre selbst einen grossen Aufwand haben», sagt Zacharias. Dank der breiten Abstützung sei dies gelungen.
Politisch wollen die vier Studierenden nicht in Erscheinung treten. «Wir haben erst hinterher erfahren, dass im Kanton eine Initiative hängig ist.» Man wolle sich in dieser Beziehung nicht einmischen, sondern lediglich eine pragmatische, niederschwellige Lösung schaffen. «In erster Linie geht es darum, das Bewusstsein in der Bevölkerung für dieses Problem zu schärfen», sagt Vivienne Zeder.
Diese ist im Übrigen nicht gewinnorientiert. «Wir sind nicht dazu verpflichtet, ein gewinnorientiertes Business-Modell zu erarbeiten. Das Projekt sollte aber kostendeckend sein.» Um das zu erreichen, habe man die Kosten bewusst sehr tief gehalten. Die Gruppe setzt auf ein Google-Formular und hat auch Sponsoren gefunden. Ausserdem hat sich der Jagdverein Hubertus bereiterklärt, den Link auf das Formular auf seiner Website zu publizieren. «Damit erreichen wir 1400 Jägerinnen und Jäger.»
Die aus Jagdkreisen unterstützte kantonale Gesetzesinitiative «Stopp Tierleid – gegen Zäune als Todesfalle für Wildtiere» wurde im Juni 2019 eingereicht. Sie fordert:
Der Regierungsrat empfahl dem Kantonsrat, die Initiative so umzusetzen. Die vorberatende Kommission war anderer Meinung: Ihr gingen die strengen Verbote und Auflagen zu weit. Deshalb beauftragte sie die Regierung mit der Ausarbeitung eines Gegenvorschlags, die Ratsmehrheit folgte der vorberatenden Kommission. Der Gegenvorschlag der Regierung muss folgende Punkte berücksichtigen:
Der Kantonsrat muss bis im Juni 2021 über den Gegenvorschlag der Regierung entscheiden. (ghi)