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Rund 350 Personen haben am Samstag an der Kundgebung zum Tag der Arbeit in St.Gallen teilgenommen. Unter anderem sagte die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello der Anhebung des Rentenalters für die Frauen auf 65 den Kampf an. Es sei eine Frechheit und ein Affront, die AHV auf dem Buckel der Frauen sanieren zu wollen, sagte sie.
Da der 1. Mai in diesem Jahr auf den Sonntag fällt, fand in der Stadt St.Gallen die traditionelle Kundgebung zum Tag der Arbeit bereits am Samstagnachmittag, statt. Der ungewohnte Termin und das nasskalte Wetter dürften mit ein Grund gewesen sein, dass der Aufmarsch mit 350 Personen etwas kleiner ausfiel als in anderen Jahren. Nach Angaben der Stadtpolizei verlief die St.Galler Maifeier - wie üblich - reibungslos und ohne Zwischenfälle.
Musikalisch angeführt durch die Banda di San Gallo marschierte der bunt zusammengesetzten Demonstrationszug von der Grabenhalle via Bahnhof- und Bärenplatz zur ersten Kundgebung in der Marktgasse mit Jungsozialistin Léonie Schubiger, Schauspieler und Ladenbetreiber Matthias Albold und SP-Nationalrätin Claudia Friedl.
Danach ging's zurück vor die Grabenhalle zur Schlusskundgebung mit SP-Stadtparlamentarier Chompel Balok und der Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Moderiert wurden die Kundgebungen durch SP-Nationalrätin Barbara Gysi, der Präsidentin des kantonalen Gewerkschaftsbundes.
Tamara Funiciello lief in ihrer Ansprache zu Hochform auf. Sie gab sich kämpferisch: «Linke Politik ohne Klassenkampf ist nicht mehr als Gärtnern!» Sie war aber - beispielsweise mit Blick aufs nasskalte Wetter - auch witzig: «Gott ist wohl definitiv kein Linker. Aber auch damit werden wir klar kommen.» Es sei wohl eine der besten 1.-Mai-Reden in den vergangenen Jahren in St.Gallen gewesen, waren sich am Rand der Kundgebung einige «Stammgäste» einig.
Funiciello sagte der anstehenden AHV-Revision mit Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 den Kampf an. Dass die AHV auf dem Buckel der Frauen saniert werden solle, dass sie die Rechnung dafür bezahlen sollten, sei eine politische Frechheit. Es sei aber gleichzeitig auch ein Affront gegen jene, die in diesem Land sowieso schon weniger verdienten und gleichzeitig auch noch Jahr für Jahr sehr viel unbezahlte Arbeit leisteten, damit die Gesellschaft überhaupt funktioniere.
Linke Politik müsse dafür kämpfen, dass die Frauen endlich das Geld bekämen, das sie eigentlich verdienten, forderte Funiciello. Sie rechnete auch scharf mit jenen bürgerlichen Politikerinnen ab, die behaupteten, für Gleichstellung zu kämpfen, die sich aber nur «für gut verdienende weisse Cis-Frauen» einsetzten.
«Gleichstellung in den Teppichetagen», also der Einsatz dafür, dass Chefinnen vermehrt hohe Posten in der Wirtschaft einnehmen könnten, nütze unterbezahlten Arbeiterinnen überhaupt nichts. Diese Politik habe rein gar nichts mit Feminismus zu tun, kritisierte Funiciello. Dieser setzte sich nämlich für die Besserstellung aller Frauen und Arbeiterinnen ein. Es gehe auch bei der Gleichstellung um den alten Kampf von Büezerinnen und Büezern «gegen die Bonzen».
Die Gesellschaft dürfe jetzt keinesfalls zulassen, dass das Leben von Arbeiterinnen in der Schweiz bewusst verschlechtert werde. Im bevorstehenden politischen Kampf um die AHV-Revision brauche es jetzt Solidarität mit den Frauen. So wie diese solidarisch gewesen seien, als es beispielsweise um die Senkung des Pensionsalters für Bauarbeiter gegangen sei, sagte Tamara Funiciello am Samstag vor der Grabenhalle.
Jungsozialistin Léonie Schubiger ging in ihrer Rede scharf mit der Politik ins Gericht. Sie tue viel zu wenig. Dies beim Engagement für Frieden und gegen Krieg in der Welt, beim Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt oder gegen Armut und Elend in weiten Teilen der Welt. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine bezeichnete Schuber als «schön».
Das Beispiel der Ukraine zeige, dass die Schweiz durchaus rasch handeln könne. Ernüchternd sei allerdings, dass rasch nur gehandelt werde, wenn uns etwas ganz direkt betreffe. Das zeige sich beispielsweise auch bei der stossenden Tatsache, dass Kriegsflüchtlingen aus Afghanistan oder dem Irak viel weniger Hilfsbereitschaft entgegengebracht werde als jenen aus der Ukraine.
Eine Lanze für die am 15. Mai zur Abstimmung kommende Stadtsanktgaller Initiative gegen die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten brach Schauspieler Matthias Albold. Als Mitinhaber eines Gewerbebetriebs in der Stadt wisse er aus Erfahrung, dass längere Ladenöffnungszeiten dem Detailhandel mit Ausnahme vielleicht einiger Grossverteiler nichts bringe. Bei kleinen Läden stiegen die Kosten, weil sich der Umsatz einfach auf zusätzliche Arbeitsstunden verteile. Die Stadt belebe man so sicher nicht.
Sonntag und Abendstunden müsse man auch fürs Verkaufspersonal frei halten, forderte Albold. Dies damit es das Familienleben und das Miteinander pflegen könne. Die Stadt belebe man mit neuen, unter anderem kulturellen Angeboten, die dieses Miteinander förderten und ihm dienten. Die Forderung nach langen Ladenöffnungszeiten sei «eine kapitalistische Missgeburt». Die Ansicht, wir müssten bei der Arbeit immer flexibler und ständig verfügbar sein, sei überholt. Die Entwicklung gehe in eine ganz andere Richtung, sagte Albold.
Trotz der Geschehnisse in der Welt seien die klassischen gewerkschaftlichen Anliegen weiterhin wichtig, hielt SP-Nationalrätin Claudia Friedl in ihrer Rede zum 1. Mai fest. Man müsse sich weiterhin für faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit, Solidarität und wirksame Klimapolitik einsetzen. Angesichts der Teuerung brauche es zudem ganz dringend Lohnerhöhungen.
Friedl plädierte auch für Solidarität mit den 13 Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Krieg und Flucht seien auch mit sexueller Gewalt und sexueller Ausbeutung verbunden. Hier müsse man wachsam sein und Gegenmassnahmen ergreifen. Von der Schweizer Politik forderte Friedl den Einsatz für einen Waffenstillstand, das Einfrieren der Oligarchengelder und den Verzicht auf Gas und Erdöl aus Russland.
Chompel Balok rief vor der Grabenhalle zum Handeln auf, damit gesellschaftliche Horrorszenarien nicht Realität werden könnten. Politisch kämpfen müsse man auf allen Ebenen, auch im Lokalen. Wichtig seien in dem Zusammenhang etwa das Engagement gegen Rassismus und der Kampf fürs Stimmrecht für alle.