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Das St.Gallen, das alternativ wohnen will, mischt sich in die Überbauung der Ruckhalde ein. Dafür wurde ein Verein gegründet. Er will erreichen, dass am Hang zwischen der Oberstrasse und dem Riethüsli ein vielfältiges, sozial gut durchmischtes und lebenswertes Quartier entsteht. Autos soll es darin (fast) keine geben.
In St.Gallen wurden im vergangenen Jahrzehnt grosse Überbauungen entweder von der öffentlichen Hand oder von privaten und institutionellen Bauherren verwirklicht. Ein zentraler Faktor für die Planung war natürlich fast immer die Renditeerwartung privater oder institutioneller Investoren. Das heisst, gebaut wurde und wird, was am Markt sicher ankommt und gute Renditen verspricht.
In den vergangenen Jahren kamen gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften, die aufgrund ihrer Ausrichtung anders planen und bauen können, bei grösseren Projekten in der Stadt St.Gallen kaum zum Zug. Eine Auswirkung dieser Entwicklung ist, dass es in St.Gallen heute kaum Angebote an alternativen Wohnformen gibt.
Ansätze wie beispielsweise die Remishueb vor dreissig Jahren oder Solinsieme um die Jahrtausendwende haben keine Nachahmer gefunden. Nicht zuletzt mangels geeigneten Baulandes: Bauträger, die bewusst günstig und mit reduzierter Ausnützung bauen wollen, bewegen sich innerhalb enger Limiten, was die Baulandpreise betrifft, die sie guten Gewissens bezahlen können. Am Schluss muss nämlich auch bei einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft die Rechnung aufgehen.
Jetzt steht die Stadt St.Gallen vor der Überbauung einer der letzten grossen zentrumsnahen Baulandreserven. Das Stadtparlament hat die ganze Ruckhalde zwischen Oberstrasse und Riethüsli Ende April der Wohnzone 4 zugeteilt. Die Bewilligung des Kantons für die Einzonungen steht noch aus.
Der grosse Teil des Lands, das erst mit der Eröffnung des Ruckhaldetunnels der Appenzeller Bahnen im Herbst 2018 überbaubar wurde, gehört der Stadt St.Gallen. Der Rest steht im Eigentum eines lokalen Immobilienunternehmens, das sich verpflichtet hat, bei der Arealentwicklung durch die Stadt mitzuwirken.
Was an der Ruckhalde baulich geschehen wird, ist offen. Im Urteil der Stadtplanung ist das knapp 5,5 Hektaren grosse Gebiet für eine Wohnüberbauung mittlerer bis hoher Dicht geeignet. Die Stadt will das Gebiet jetzt so entwickeln, dass es bald einmal überbaut werden kann. Und dabei will das St.Gallen, das sich alternative Wohnformen wünscht, aktiv mitmischen.
Das ist ungewohnt: Normalerweise entscheiden Investoren und Bauträger allein, was auf so einem Areal geschieht. In dem Fall will eine Gruppe aber die Tatsache nutzen, dass ein wesentlicher Teil des Landes der Stadt gehört: Sie will, dass gemeinnützige Wohnbauträger alternative, gemeinschaftliche Wohnmodelle mit erschwinglichen Mietpreisen realisieren können.
(vre) Alle, die sich für die Überbauung der Ruckhalde informieren, müssen sich den 4. November merken. An diesen Montag, 19 Uhr, stellt sich die IG Ruckhalde im Mehrzweckraum des Schulhauses St.Leonhard an der Davidstrasse 30 erstmals der Öffentlichkeit vor. Dabei wird ausführlich über die Projektideen für eine alternative Wohnüberbauung informiert. Weiter sind die Mitglieder der IG für Feedback offen. Zum Info-Anlass anmelden kann man sich über die Internetseite der IG Ruckhalde.
Gestern Montag stellte die IG Ruckhalde sich und ihre Ziele den lokalen Medien vor. Zum Projektteam gehören Lichtgestalter Marc Dietrich, Architektin Christine Egli, SP-Stadtparteipräsident Peter Olibet und «Saiten»-Co-Verlagsleiter Philip Stuber. Allen sei gemeinsam, dass sie sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung und alternative Wohnformen interessierten, aber keine wirtschaftlichen Eigeninteressen an der Überbauung der Ruckhalde hätten, hiess es.
Die IG wurde im Sommer als Verein gegründet, der offen ist für alle, die seine Ziele mittragen. Die IG will im Planungs- und Bauprozess für die Ruckhalde die «Zivilgesellschaft» und damit das Interesse der Öffentlichkeit an einer nachhaltigen Wohnüberbauung vertreten.
Sie fordert für Planung und Verwirklichung des Projekts die Gründung einer Dachorganisation, in der die Stadt, die Bauträger und die IG Einsitz nehmen sollen. Diese Organisation soll die Mitwirkung der Bevölkerung, den Dialog mit Planern und Architekten sowie die Baukoordination übernehmen. Die IG hat klare Vorstellungen, welche Anforderungen die Überbauung der Ruckhalde erfüllen soll.
(vre) Für die IG Ruckhalde setzt die Überbauung des Hangs die Entwicklung des Tschudiwies-Quartiers fort. Dieses sei vielfältig und lebendig – und das müsse die Ruckhalde als erstes gemeinschaftlich von Stadt, Bauträgern und «Zivilgesellschaft» entwickeltes Quartier ebenfalls werden, hiess es an der Medienorientierung vom Montag.
Eine Voraussetzung dafür soll sein, dass die Ruckhalde nicht von einer einzigen Trägerschaft überbaut wird. Vielmehr sollen sich unterschiedliche gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften auf den einzelnen Baufeldern betätigen können.
Die Vorgaben der IG für das Projekt sind ehrgeizig und teils auch restriktiv. Grundsätzlich sollen nur gemeinnützige Bauträger zum Zug kommen, die sich dem Prinzip der Kostenmiete nach Zürcher Modell verpflichten. Damit will die IG sicherstellen, dass der Wohnraum an der Ruckhalde «bezahlbar» ist und bleibt, weil Renditeerwartungen von Investoren bei der Mietpreisgestaltung keine Rolle spielen.
Zudem sollen Gefässe zur Verbilligung von Wohnraum in der neuen Überbauung ausgeschöpft werden. Ebenfalls auf die Kosten drücken sollen reduzierte private Wohnflächen, kostengünstige Ausbaustandards und tiefe Nebenkosten dank hoher Energieeffizienz. Die Ruckhalde soll zudem ein nachbarschaftliches Quartier werden, das Raum für alle bietet.
Statt höchstmöglicher Individualität soll die Neubau-Siedlung auf gemeinschaftliches, gut durchmischtes Wohnen und soziale Kontakte der Bewohnerinnen und Bewohner untereinander ausgerichtet werden. Ebenfalls gefördert werden sollen Arbeitsplätze im Neubauquartier. Zudem soll es gezielt Freiräume für Kinder und Familien geben. Und für die heutigen Familiengärtner wichtig: Es soll am Hang weiter möglich sein, gemeinsam zu gärtnern.
Die Architektur an der Ruckhalde, so ein weiteres Anliegen der IG, soll «Haltung zeigen» und auffallen. Dabei soll der Einbezug diverser Planungs- und Architekturbüros der Vielfalt Vorschub leisten. Grundrisse und Wohnungsgrössen sollen möglichst flexibel sein. Zudem soll der Aussenraum – wie etwa jener ums Schulhaus Tschudiwies – sorgfältig und auch mit Rücksicht auf die Natur gestaltet werden.
Die privaten Wohnflächen sollen mit gut 37 Quadratmeter pro Kopf (städtischer Durchschnitt: 47 Quadratmeter) bewusst knapp gehalten werden. Der IG Ruckhalde schwebt eine autoarme Siedlung vor. Die rund 1500 Mieter der rund 400 Wohneinheiten sollen grundsätzlich kein Privatauto besitzen. Vorgesehen sind 90 Parkplätze für Bewohnerinnen und Bewohner, die aufs Auto angewiesen sind, sowie 25 Besucher-Parkplätze. Dafür möchte die IG ein Carsharing-System, Abstellplätze für Velos, ein dichtes Fusswegnetz sowie eine Bahnhaltestelle am Nordeingang des Ruckhaldetunnels.