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Die Ausschreitungen von vergangenem Freitag haben Spuren hinterlassen – auch in der Psyche der betroffenen Gewerbler. Sie haben Angst vor weiteren Vandalenakten. Doch nicht überall sind Vorkehrungen möglich.
Alles scheint fast wie gewohnt in der St.Galler Innenstadt. Wären da nicht die Holzverschläge. Sie sind eines der letzten sichtbaren Überbleibsel der Krawallnacht vom vergangenen Wochenende. Spricht man mit den Ladeninhaberinnen und -inhabern, so merkt man schnell: Der Schock sitzt noch immer tief. Es herrscht Fassungslosigkeit über die Gewaltausbrüche, auch Ohnmacht und Machtlosigkeit sind zu spüren.
Die meisten angesprochenen Personen wollen nicht namentlich erwähnt werden. Ladeninhaberinnen und -inhaber haben Angst, gezielt angegangen zu werden. Angst, vor allem im Hinblick auf die Aufrufe zu noch mehr Gewalt für den kommenden Freitagabend, die im Internet herumgeistern.
Angesichts neuer Gewaltaufrufe aus der Partyszene für Karfreitag appelliert die St.Galler Stadtregierung am Mittwoch an die Bevölkerung und insbesondere an Jugendliche und junge Leute. Sie sollten Ruhe bewahren und unter Einhaltung der Coronaregeln friedlich feiern. Der Stadtrat zeigt Verständnis für die schwierige Situation für die gesamte Bevölkerung. Gewalt und Sachbeschädigung seien aber nicht die Lösung. Es solle zu keiner weiteren Eskalation kommen, bei der Unbeteiligte geschädigt werden.
Die Stadtpolizei werde am Freitag präsent sein, strafbares Verhalten verfolgen und Personen zur Anzeige bringen. Das es friedlich gehen könne, beweise das Treffen vom Samstag. Rund 150 Jugendliche hielten sich in kleinen Gruppen auf dem Roten Platz auf. Die Plätze dürften und sollen gemäss Mitteilung im Rahmen der aktuellen Vorschriften genutzt werden. (sk/dh)
«Dass am Karfreitag, am höchsten Feiertag, zu so etwas aufgerufen wird, das geht gar nicht», sagt ein Ladenbesitzer. Er fordert, dass die Polizei von Anfang an eingreift. Seine Frau merkt an, dass auch sie einmal jung waren und bei Demonstrationen mitgemacht hätten. Das Paar zeigt zwar Verständnis, dass junge Menschen auf die Strasse gehen. Aber Gewalt und Vandalismus seien kein gangbarer Weg. So haben sie denn auch mit friedlichen Demonstrationszügen keine Probleme.
Ins Osterwochenende geht das Inhaberpaar mit einem unguten Gefühl. Sie wollen wertvolle Gegenstände aus dem Schaufenster nehmen – eher widerwillig. Denn ein schönes Schaufenster zieht Leute an – auch ausserhalb der Öffnungszeiten.
Dies bestätigt Beatrice Niedermann, Inhaberin des Antiquitätengeschäfts Trudi & Vinz an der Gallusstrasse.
«Die Schaufenster sind für uns existenziell.»
Dass sie rege genutzt würden, zeigten die Finger- und Nasenspuren, welche sie täglich wegwische. Niedermann hat mit ihrer Vermieterin, der Stadt St.Gallen, einen Kompromiss gefunden: Als Übergangslösung werden zwei Scheiben mit Plexiglas ersetzt, bis die Glasscheiben geliefert werden.
Das Geschäft hat wohl am meisten Schäden von der Krawallnacht davongetragen. Vier von fünf Fenstern wurden zerstört; Sonnenschirmständer aus Beton des Nachbarn wurden durch die Scheiben geworfen, die beiden Pflanzenkübel mit Buchsbäumchen herumgeschleppt. Der erneute Aufruf zu Gewalt bereitet Niedermann Bauchweh, sie hat Angst vor weiteren Ausschreitungen. Die Pflanzenkübel entfernt sie daher komplett und permanent. Niedermann sagt:
«Sie sehen zwar schön aus, aber ich will nicht die Munition bereitstellen.»
Ins Herz sticht ihr ein Video, das zeigt, wie Jugendliche ihre Fenster kaputtmachen und sich johlend darüber erfreuen. «Ich würde mich gerne mit ihnen unterhalten und sie fragen, was denn daran so lustig sei.» Sie erinnert die Vandalen, dass hinter der Ladenfassade Menschen stehen und Existenzen von intakten Läden abhängen. Schmerzlich sei auch, dass das Ostergeschäft dieses Jahr zum zweiten Mal ausfalle.
Niedermann verabschiedet sich zum Staubsaugen – eine Tätigkeit, der sie derzeit mehrmals täglich nachgeht. Immer noch kommen Glassplitter zum Vorschein. Dafür hat sie sich einen speziellen Industriesauger geholt. Sie müsse die ganze Warenauslage nochmals überprüfen. Zudem kommt noch der bürokratische Aufwand mit der Versicherung hinzu. Es sind Arbeiten, die sie gerne an die Verantwortlichen übertragen würde, «damit sie merken, dass es eben nicht so ‹geil› ist».
Auch die Chocolaterie Kölbener verzeichnet Schäden. In einem Video ist zu sehen, wie die Tische und Stühle über den Gallusplatz gezogen werden. Zudem wurde ein Seitenfenster eingeschlagen und die Türe beschädigt. Inhaberin Manuela Kölbener fragt sich, wie die Eltern der Verantwortlichen dazu stehen. Sie begreift die Frustration der Jungen darüber, dass ihnen die schönste Zeit des Lebens genommen wird.
«Das rechtfertigt aber nicht, Sachen zu beschädigen.»
Den Coronamassnahmen steht sie skeptisch gegenüber. «Wenn ich die überfüllten Busse sehe und wie die Menschen auf dem Klosterplatz zusammen sitzen, begreife ich nicht, warum man sich nicht zu viert im Restaurant treffen darf.» Bei solchen Einschränkungen im Alltag würden Leute irgendwann ausrasten, so ihre Einschätzung.
Spezielle Vorkehrungen für das Osterwochenende kann Kölbener trotz ungutem Gefühl nicht treffen.
«Ich müsste ja das ganze Geschäft verbarrikadieren.»
Dafür fehle ihr Energie und Geld, sagt sie. Resignation liegt in ihrer Stimme. Die zerstörten Stühle und Tische könne sie nicht drinnen wegräumen – zu wenig Platz.
Eine andere Ladeninhaberin sagt: «Ich glaube, es ist wichtig, die Stimmung nun nicht noch mehr aufzuheizen.» Für das Befinden der Jugendlichen zeigt sie Verständnis:
«Schliesslich geht es uns allen so. Gewalt ist aber der falsche Ansatz. Das ist unserer Kultur unwürdig.»
Sie ruft den jungen Menschen ins Bewusstsein, dass die Zerstörung jene traf, die nichts für die Situation können, ja selbst betroffen sind und auch sehr leiden.
«So wird die Basis für den Lebensunterhalt kaputtgemacht. Da hängen Existenzen dran.»
Sie spinnt den Faden noch weiter: Durch den Vandalismus werde die Symbiose in der Innenstadt gestört. Hier würden alle ihr Wissen und Geld investieren, um einen Teil der Stadt schön zu gestalten und erlebbar zu machen. Würden die Bedingungen weniger attraktiv, befürchtet sie, dass Geschäfte schliessen. Sie richtet Gedankenanstösse an die Jugendlichen: «Wo wollt ihr noch flanieren oder eine Arbeitsstelle finden, wenn nichts mehr da ist?»
Was die Ladenbetreiberin schockiert, ist die Respektlosigkeit, mit welcher mit fremdem Eigentum umgegangen worden sei. Sie findet klare Worte:
«Gewalt ist keine Freizeitbeschäftigung. Schon gar nicht auf Kosten von Mitbetroffenen.»
Zwei Gastronomen, die ebenfalls anonym bleiben wollen, verbringen den Freitagabend in ihrem Restaurant. Sie sind besorgt, dass noch mehr Schäden angerichtet werden könnten und wollen ihr Lokal verteidigen.