An der Engelgasse eröffnet am Dienstag der erste Unverpackt-Laden der Stadt. Die Idee dazu hatte Marion Schiess schon länger.
Die Zahnpasta sieht aus wie eine Glace oder ein Schleckstengel. Auf einem Tablett liegen farbige Seifen, die wie Kuchenstücke aussehen. Es gibt Stoffbinden und Gewürze in Reagenzgläsern. Und das alles ohne Verpackung.
Im Minutentakt kommen die Lieferanten zur Tür herein. Einer trägt Behälter voller Öle aus Kürbiskernen, Hanf, Raps und Sonnenblumen in den Laden. Ein anderer Lieferant bringt Kaffeebohnen, der Pöstler ein Paket mit Plakaten. Kisten stapeln sich. Mittendrin steht Marion Schiess und versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen. Die 28-Jährige eröffnet am kommenden Dienstag an der Engelgasse 8 ihren eigenen Laden: «Ganzohni». Es ist der erste Unverpackt-Laden der Stadt.
In Plastik eingeschweisste Gurken und mehrfach verpackte Nahrungsmittel sind Schiess ein Dorn im Auge. Mit ihrem Laden will sie dem Verpackungswahn entgegentreten und die Abfallberge reduzieren. «Denn wir machen weiter, als gäbe es kein Morgen.» Schiess kennt die Lebensmittelbranche aus der Praxis. Die gelernte Arbeitsagogin half Menschen bei der beruflichen Integration und war als Köchin tätig. Zuletzt arbeitete Schiess im Service des Restaurants Peter und Paul.
Wenn sie privat einkaufen geht, versucht sie, Plastiksäcke zu vermeiden, klebt sich beim Einkauf die Preisetiketten für Gemüse und Früchte auf den Ärmel, hinterfragt ihr Handeln immer wieder.
«Der Abfall zu Hause nervt mich.»
Schiess wünscht sich einen Laden mit unverpackten Lebensmitteln in St.Gallen, so wie sie dies in Zürich und anderswo bereits gesehen hat. «Nur hier in der Stadt hat das bisher noch niemand gemacht.» Seit fünf Jahren trägt sie den Gedanken mit sich herum, selbst einen solchen Laden zu eröffnen.
Seit 37 Jahren bietet der Stadtladen biologische Lebensmittel an. Seit Beginn habe man offenes Getreide in Silos im Angebot, sagt Stefan Wyler. «Die Nachfrage nach unverpackten Lebensmitteln ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.» Demnächst werde man Teigwaren im Offenverkauf anbieten. Auch Waschmittel und verschiedene Öle lassen sich in eigene Gefässe nachfüllen. Zudem gibt es eine Theke mit Käse und eine grosse Auswahl an Früchten und Gemüse. Bei den Apfelharassen sind jedoch Plastiksäckli bereitgelegt.
Das Geschäft bietet Früchte und Gemüse ohne Verpackung an. Mit «50 Prozent» gekennzeichnetes Gemüse wird aber in Papiertüten verkauft. Vor Kurzem wurde unverpackter Nüsslisalat aus dem Sortiment genommen. Auch offene Dörrfrüchte seien nicht so gut gelaufen.
Auch der «Organic Food» bei L’Ultimo Bacio ist grösstenteils biologisch. Unverpackt wird eine Vielzahl an Gemüse und Früchten verkauft, beispielsweise Federkohl, Papayas und Kiwis. Neben einer Käse- und Brottheke lädt das integrierte Café zum Verweilen ein.
Im Kleiderladen Tarzan (früher Moho) stehen Nachfülltanks für Naturseifen. Sie werden vom Zürcher Unternehmen Soeder hergestellt und bestehen aus natürlichen Inhaltsstoffen. Damit sind die Flüssigseifen biologisch abbaubar. Es gibt sie in den Duftnoten Lavendel mit Rosmarin oder Schwarzkiefer mit Mandarinen.
Statt Einwegplastiksäckchen bietet die Migros für Gemüse und Früchte seit Anfang 2017 den wiederverwendbaren «Veggie Bag» aus Stoff an. Bei Coop besteht der Mehrwegbeutel «Multi-Bag» aus Zellulose. Laut den Pressestellen sind bereits je rund eine Million der umweltschonenden Säcke im Umlauf. Coop biete 40 Prozent der Bio-Früchte und -Gemüse unverpackt oder in einer ökologischen Verpackung an. Der Offenverkauf von Früchten und Gemüse orientiere sich in den St.Galler Filialen an der Saison, so der Coop-Pressesprecher. Beim Bio-Rhabarber, -Sellerie, -Lauch und -Fenchel sei inzwischen die Folie durch einen Sticker oder eine Etikette ersetzt worden. (sab)
Nun hat sie ihre Idee in die Tat umgesetzt. An einer Wand reihen sich kleine Silos auf, in denen schon bald Reis, Kichererbsen, Müesli, Popcorn-Mais, Chia-Samen, Nüdeli und Hörnli zum Abfüllen parat sind. Darunter sind Gläser mit Teemischungen und Abfüllstationen für Mehl, Zucker und Salz. In kleinen Gläsern sind glutenfreie Backmischungen, Kräuter und Gewürze.
«Die Kunden sollen eigene Gefässe mitbringen und die gewünschte Menge abfüllen», erklärt Schiess das Einkaufsprinzip. In Gläser oder Dosen, die Seifenblöcke in Zeitungspapier oder Bienenwachstücher. Auch Tupperware sei okay, obwohl die Behälter aus Plastik seien. «Denn dadurch wird immer noch Verpackungsmaterial eingespart.» Den Abfall zu reduzieren, das sei das Ziel.
«Man muss den Einkauf planen, um dann auch die passenden Behälter dabei zu haben. So geht der Kunde viel bewusster mit Lebensmitteln um», sagt Tabea Bereuther von der Universität St.Gallen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaft und Ökologie und erforscht in ihrer Dissertation die Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen im Lebensmittelsektor. Immer mehr kämen in der Schweiz alternative Verpackungsmaterialien zum Einsatz, etwa aus Zuckerrohr oder Zellulose. Gleichzeitig beobachtet Bereuther oft unverhältnismässig grosse Verpackungen. «Hier stehen Marketing und Verkaufszahlen klar in Konflikt mit der Nachhaltigkeit.»
Primär schütze eine Verpackung die Lebensmittel und erleichtere den Transport.
«Manche finden zudem unverpacktes Gemüse oder Obst unhygienisch.»
Verpacktes werde als frischer empfunden. Ohne eine Verpackung würden Nahrungsmittel schneller verderben, werde oft argumentiert. Dabei stünden unverpackte Lebensmittel nicht zwangsläufig in Konflikt mit der Haltbarkeit, sagt Bereuther. «Mit kleineren Einkaufsmengen und der richtigen Lagerung stellt die Haltbarkeit kein Problem dar.»
Zurück zu Marion Schiess. Eine Frage werde ihr oft gleich zu Beginn gestellt: «Kann man das bezahlen?» Die Ladengründerin bejaht und fügt hinzu: «Mein Angebot soll eine Ergänzung sein für Leute, die bewusst einkaufen wollen.» Neben ihrem Augenmerk bei der Verpackung stellt die 28-Jährige Produkte aus der Region in den Fokus. «Mein Kaffee wird beispielsweise in St.Georgen geröstet.» Biologisch, regional und saisonal, lautet Schiess’ Credo.
«Im Winter wird man bei mir deshalb nie Tomaten kaufen können.»
Ganz ohne eine Verpackung gehe es aber manchmal doch nicht. Schiess ist pragmatisch. Es sei schwierig, Händler zu finden, die auf nachhaltige Verpackungen umstellen würden. Da sind die Deos, die in einem runden Karton eingepackt sind. «Immerhin kein Plastik», kommentiert Schiess.
Auch die grossen Tanks, in denen Essig und Öl geliefert wird, sind innen im Moment noch aus Plastik. Gewisse Kompromisse zwischen der Verpackung und dem Biogedanken müsse man eingehen, sonst werde es zu extrem. «Denn man muss auch noch leben können.»