Autor des ersten modernen St. Galler Stadtromans

Wer an der Haltestelle Notkersegg der Trogenerbahn aussteigt, kann nach ein paar Schritten an einem der Kandelaber der Fahrleitung einen ersten Hinweis auf die Hardungstrasse entdecken.

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Viel Grün, alte Villen am Anfang (Bild) und neuere Einfamilienhäuser prägen die Hardungstrasse auf der Notkersegg. (Bild: Elina Grünert)

Viel Grün, alte Villen am Anfang (Bild) und neuere Einfamilienhäuser prägen die Hardungstrasse auf der Notkersegg. (Bild: Elina Grünert)

Wer an der Haltestelle Notkersegg der Trogenerbahn aussteigt, kann nach ein paar Schritten an einem der Kandelaber der Fahrleitung einen ersten Hinweis auf die Hardungstrasse entdecken. Beim Übergang über die Gleise befindet man sich nämlich schon auf dieser Strasse, die hier in die Speicherstrasse einmündet. Wer der Hardung-Tafel folgt, der gelangt in der anderen Richtung zur «eigentlichen» Hardungstrasse. Sie ist vor dem Hagenbuchwald als Rundweg angelegt. Und hier wird man auch über den Namengeber der Strasse genauer aufgeklärt. Es ist «Viktor Hardung, 1861–1919, Redaktor und Schriftsteller».

Von der Zufahrt zur Ringstrasse

Das Gebiet, das die Hardungstrasse erschliesst, heisst traditionell «Auf Wiesen». Die Anfänge der Ringstrasse gehen auf den Beginn der Bautätigkeit ab 1911 zurück. Mit dem Bau der herrschaftlichen Häuser entlang der Speicherstrasse entstand auf der Rückseite eine Zufahrt. Sie wuchs im Gleichschritt mit der Überbauung des Gebietes zum heutigen Rundkurs. Eine erste, vom Volumen her noch relativ bescheidene Bauphase ist vor dem Ersten Weltkrieg auszumachen. In den 1950er-, 1960er-und 1970er-Jahren entstanden dann die Einfamilienhäuser, die das Gebiet heute stark prägen.

Auf Umwegen ins Studium

Victor Hardung, der der Strasse den Namen gab, kam am 3. November 1861 als Sohn eines Architekten in Essen im Ruhrgebiet zur Welt. Er betätigte sich zuerst als Kaufmann im Bergbau und als Landwirt, bevor er sich dem Studium der Germanistik und Philosophie zuwendete. Von der Universität Strassburg wechselte er 1888 an die Universität Zürich, wo er 1893 mit der Arbeit «Über Wesen, Ursprung und Bedeutung des Metaphorischen in der Poesie» promovierte.

Nach dem Studium etablierte er sich in der Ostschweiz als Journalist. Von 1894 bis 1899 war Victor Hardung als Redaktor beim Flawiler «Volksfreund» tätig. Dann wechselte er in die Feuilleton-Redaktion des St. Galler Tagblatts, der er bis ins Jahr 1916 angehörte.

Hardung verschaffte sich auch als Schriftsteller Geltung. Er publiziert in der Münchner «Jugend» Gedichte. Seine Versdramen wurden in St. Gallen, Dresden, Berlin und Zürich uraufgeführt. Er wendete sich in seinen Werken in der Regel «höheren Dingen» zu und verarbeitete gerne Themen aus Mythologie und antiker Geschichte. Er schrieb auch Lustspiele und musste erfahren, dass sie bei Publikum und Kritikern besser ankamen als die «dunklen» Dramen. 1917 erhielt Hardung das Schweizer Bürgerrecht. Zuletzt lebte er im Gebiet Notkersegg/Auf Wiesen, wo er am 2. Juli 1919 starb.

Schauplatz ist das Theater

Seine Erfahrungen als Bühnenschriftsteller und Theaterkritiker liess Hardung in den Roman «Die Brokatstadt» einfliessen, der 1909 im Huber-Verlag (Frauenfeld) erschien. Der Titel verweist auf St. Gallen als Textilstadt. Hauptschauplatz des Romans ist das alte Stadt- und Aktientheater am Bohl (am Standort des heutigen Geschäftshauses mit der McDonald's-Filiale). Im alten Stadttheater ist Hardung 17 Jahre lang als Kritiker ein und aus gegangen.

Den ersten modernen St. Galler Stadtroman kann man jetzt direkt kennenlernen. Die Kellerbühne setzt ihn als Melodrama um einen Kritiker, einen Regisseur und eine Schauspielerin in Szene. Sie will damit auch den Autor Victor Hardung ins Licht rücken. Er ist vielen Städterinnen und Städtern nämlich nur noch als obskurer Namengeber einer von alten Villen, neuen Einfamilienhäusern und viel Grün gesäumten Strasse auf Notkersegg bekannt. (MP/vre)

«Kulissenklatsch! Ulrich, Karl, Lora & das alte Theater am Bohl»: 26.9.: 20.00/27.9.: 17.00/ 30. und 31.10.: 20.00/1.11.: 11.00, Kellerbühne St. Gallen