«Schutzengel sind freundlich»

77 Prozent der US-Bürger und 58 Prozent der Österreicher glauben an Schutzengel. Für St. Galler existieren keine offiziellen Zahlen. Eine St. Gallerin, die mit Engeln kommuniziert, erfährt aber auch hier regen Zuspruch.

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Stadtführerin und Fachfrau für Engel: Die gebürtige Norddeutsche Ulrike Brülisauer. (Bild: Ralph Ribi)

Stadtführerin und Fachfrau für Engel: Die gebürtige Norddeutsche Ulrike Brülisauer. (Bild: Ralph Ribi)

Keine Flügel. Ulrike Brülisauers Engel haben keine Flügel. «Ich sehe einfach keine», sagt die 49-Jährige, die sich als «überprüfbar hellsichtig» bezeichnet und regen Kontakt mit Engeln pflegt. Seit sie denken kann. Von deren Existenz ist sie so überzeugt wie von der Tatsache, dass sie ein Medium ist. «Die reden mit mir. Ich sehe sie, ich spüre sie. Ich glaube nicht daran, dass es sie gibt – ich weiss es einfach.»

Gelernt, es zu verschweigen

Sie wäre immer so gerne eine normale Frau aus Rotmonten gewesen, sagt Ulrike Brülisauer. Lange habe sie es probiert. Sich geschämt, dass sie so «spinne». Auch ihrem Mann zuliebe, einem Naturwissenschafter. Schon als Kind lernte sie, die Sache mit den Engeln für sich zu behalten. Auch wenn diese immer da gewesen seien. Sogar Ausbildungen habe sie besucht, um zu lernen, sich von den Engeln zu «befreien». «Ich wollte diese Sache abstellen, es wurde mir einfach zu viel.» Es hat nicht geklappt.

Ulrike Brülisauers Überzeugungskraft ist beträchtlich. In Zeiten von Sinnentleerung und Glaubensvakuum finden zahlreiche St. Gallerinnen und St. Galler, aber auch Menschen von weiter her, den Weg zur gebürtigen Norddeutschen. Gerade weil sie jedem die Freiheit lässt, ihr zu glauben oder nicht. Sie selbst hat das halbe Leben lang mit ihrer überdurchschnittlichen Intuition gehadert.

Über 1000 Engel

Das ist jetzt vorbei. Seit drei Jahren lässt sie «es» zu, weil sie begriffen habe, dass dies ihr Lebenssinn sei. Wenn sie jemanden ansehe, sehe sie auch seinen Engel. Meistens einer, manchmal mehr. Auch Befindlichkeiten, familiäre Konstellationen, Kindheit, biographische Brüche, Organe oder Krankheiten ihres Gegenübers schössen in der Regel auf sie zu, ohne dass sie sich dagegen wehren könne. Mittlerweile habe sie zwar gelernt, zu fokussieren und auch einmal etwas auszublenden, doch noch immer werde es ihr manchmal zu viel.

Seit acht Jahren ist sie Stadtführerin für St. Gallen-Bodensee-Tourismus. Die Arbeit mit den Engeln trennt sie normalerweise konsequent von der Arbeit mit den Touristen.

Seit letztem Jahr bietet sie aber eine Themenführung durch die Stadt zum Thema Engel an, die auf reges Interesse stösst: Über 1000 Engel, Erzengel, Putten zieren die Kathedrale, Fassaden und Erker der Altstadt. Stoff für viele Engelsgeschichten. Und Auslöser für eine deutsche Journalistin, St. Gallen als «Los Angeles» der Schweiz zu bezeichnen.

Heute, sagt Ulrike Brülisauer, sei sie endlich mit sich im reinen. Seit sie den Widerstand gegen ihre Wahrnehmungen aufgegeben hat, versucht sie, anderen Menschen zu helfen. Mit wachsendem Erfolg. Ihre wöchentlichen Schutzengelmeditationen haben regen Zulauf. «Ich musste schon Leute nach Hause schicken.» Werbung mache sie kaum. Mehrheitlich sind es Frauen, die den Weg zu ihr finden und den Kontakt zum Schutzengel suchen. «Aber auch immer mehr Männer – Banker, Pfarrer, Leute aus dem Rotary-Club. Einfach alles, bunt gemischt.»

Die Menschen seien auf der Suche nach einer neuen Spiritualität, die sie nicht einenge. «Die Engel, das ist etwas Leichtes, Unmittelbares. Sie sprechen das innere Kind der Menschen an und wollen ihnen helfen», sagt sie. Die Engelsbotschaften, die sie weiterleite, seien immer freundlich, immer positiv – aber deshalb nicht weniger präzise. Und immer habe der Empfänger die Freiheit, die Symbole so zu interpretieren, dass es für ihn stimme.

Nicht wie Mike Shiva

«Ich bin kein Mike Shiva und kein Guru», sagt die Katholikin. Nicht einmal mit Esoterik im landläufigen Sinn habe sie viel am Hut. Die Zukunft vorauszusagen liege ihr fern. Sie sieht sich als Übersetzerin von Engelsbotschaften – «mehr nicht». «Leute, die zu mir kommen und Erleuchtung erwarten, sind vollkommen falsch gewickelt.» Engel seien sehr «alltagstauglich» – alles Abgehobene liege ihnen fern. Sagt sie und schliesst die Augen. Wahrscheinlich, um einem von ihnen zuzuhören. Odilia Hiller

«Engel gibt's nicht nur im Himmel». Stadtrundgang für private Gruppen bis 25 Personen bei www.st.gallen-bodensee.ch. Ab 200 CHF.